Meisterwerke sind essenziell

Am Sonntag bringt das Staatstheater am Gärtnerplatz einen vielgespielten Klassiker neu heraus: Mozarts "Zauberflöte". Josef E. Köpplinger hat seine Dresdner Inszenierung aus dem Jahr 2020 mit einem neuen Ausstattungsteam weiterentwickelt, der neue Chefdirigent Rubén Dubrovsky dirigiert.
AZ: Herr Dubrovsky, abgesehen von der "Zauberflöte" - was haben Sie an Ihrem neuen Haus vor?
RUBÈN DUBROVSKI: Für mich steht die Entwicklung des Orchesters im Vordergrund. Die Auswahl des Repertoires ist ein Instrument dazu. Durch symphonische Konzerte versuche ich, einen Ausgleich zu schaffen. Es ist ja für das Gärtnerplatzorchester nicht alltäglich, Beethoven und Brahms zu spielen. Bei unserem ersten Konzert hat aber das Orchester sehr gut reagiert und ich war sehr stolz auf unsere Leistung, besonders die emotionale Reaktion: Ich habe im Konzert und auch danach noch viele glückliche Gesichter gesehen.
Beethoven und Brahms spielen die anderen Münchner Orchester regelmäßig. Planen Sie auch, das Programm durch unbekanntere Werke zu ergänzen?
Für mich war es sehr wichtig, für unser erstes Konzert gerade kein Randrepertoire auszuwählen. Wäre es für unsere Entwicklung und unsere Motivation, aber auch den Kontakt zum Publikum, besser, wenn wir das Gesamtwerk von Albrechtsberger aufführen würden? Ich finde nicht. Die Begegnung mit Meisterwerken ist essenziell für die Formung eines Orchesters. Es wäre grausam gewesen, wenn ich meinem Orchester gesagt hätte, dass für uns bloß Hoffmeister und Stamitz übrig bleiben.
Welche Vorstellung haben Sie vom Orchesterklang?
Es gibt für mich keinen idealen Orchesterklang wie vielleicht zu Karajans Zeiten, wo man von Bach bis Schönberg alles in einer einzigen Klanglichkeit gespielt hat. Ich finde, jeder Komponist und jedes Werk, jeder Satz hat einen spezifischen Klang. Unsere Aufgabe heutzutage ist, diesen zu erforschen. Wir sind meiner Ansicht nach in einer Post-Spezialisten-Ära, wo die Spezialisten für Alte und für Neue Musik sehr viel zum Verständnis dessen beigetragen haben, wie man das jeweilige Repertoire interpretieren soll. Aber heutzutage wird von meinen Musikern und mir erwartet, jedes Stück so zu spielen, als seien wir genau dafür Spezialisten. Und das ist möglich, weil die Menge an Information, die wir heute haben, unendlich groß ist.
Nochmal zum Klang: Hat nicht auch ein schöner, seidiger Streicherklang einen Wert für sich: also gewissermaßen ein bisschen Karajan?
Unbedingt. Was wir brauchen, ist zum Beispiel ein gesanglicher Streicherklang, genauso, wie wir auch manchmal einen kantigen Klang brauchen, nebeneinander oder übereinander, gerade bei Beethoven. Schönheit hat mit Gestaltung zu tun. Die rohe Materie an sich, ein Kübel roter Farbe, ist noch nicht schön. Ich finde zum Beispiel, wie man den Ton gestaltet, was während des Tones passiert, vielleicht ein Loslassen und Wiederaufnehmen, oder ein Aufblühen und Zugehen, macht die Schönheit aus. Wir kennen viele Sänger mit einem schönen Stimmmaterial, das uns nicht berührt, und umgekehrt viele, die nicht so begnadet wurden, bei denen wir aber etwas spüren. Die Gestaltung, die Differenzierung, macht für mich die Schönheit.
Wie weit kann man in einer Aufführung den Sängern folgen, ihnen Raum geben, ohne den Zusammenhang zu verlieren?
Es gibt in der musikalischen Struktur Momente, die davon leben, dass der Puls uns die Geschichte erzählt, und manche, wo alles stehenbleibt und etwas in der Luft schwebt, was nur die Sängerin oder der Sänger auf der Bühne in der Hand hat, und nur sie. Ich bin dann zwar bereit, weiterzugehen, aber die perfekte, sanfte gemeinsame Landung braucht dann sehr viel gegenseitiges Vertrauen. Es gibt eine Kraft, die für Struktur sorgt, und eine andere, die sie zerstört und somit Platz schafft für anderes. Idealerweise finden sich diese beiden Kräfte in jeder Künstlerpersönlichkeit, aber, wenn ich im Graben stehe, bin ich vor allem für die Struktur zuständig, dafür, nach zu vorne zu gehen, und dafür, Platz zu schaffen, wenn die Sängerin die Inspiration zu einem Stehenbleiben hat.
Die "Zauberflöte" besteht aus sehr verschiedenen musikalischen Stilen - muss man da nicht bewusst Zusammenhang herstellen?
Das ist unser Alltag! Zum Beispiel haben wir zwei Besetzungen des Papageno, beide Sänger mit wunderschönen Stimmen. Was ist die Herausforderung? Eben nicht allzu schön zu klingen. Wenn wir einen Papageno mit Opernpose erleben, dann ist Papageno nicht da. Auch die Chöre haben ganz verschiedene Farben, es gibt Mystizismus und dann wieder Jubelchöre wie in barocken Oratorien. Da müssen wir uns von der Klanglichkeit und der Stilistik her jedes Mal neu erfinden. Es gibt die Figur des Sprechers, die wenig zu singen hat, nur ein paar kurze Phrasen. Jeder Bariton ist in Versuchung, das möglich schön klingen zu lassen. Es ist dies aber eine andere Rolle, ich motiviere die Sänger, das so zu singen wie ein Bach-Rezitativ, sodass die Worte zur Geltung kommen. Wir müssen genau diese Vielfalt des Stücks realisieren.
Aber ist dann nicht die Gefahr, dass die "Zauberflöte" in lauter heterogene Bilder zerfällt?
Wenn wir uns die Finali von Mozart ansehen: Seine musikalische Dramaturgie ist genial. Immer, wenn wir in einer bestimmten Klangwelt sind und die nächste Szene kommt, die ganz anders ist, ist das dem Hörer so willkommen. Mozart versteht es, so präzise zu charakterisieren, dass wir nach zwei Tönen allein wissen, mit welcher Person wir es zu tun haben. Eine ganze Oper, die in Papageno-Tönen gehalten ist, wäre nicht auszuhalten, nicht einmal, wenn Mozart sie gemacht hätte, genauso wenig wie eine ganze Maestoso-Oper im Stil der Sarastro-Szenen spannend wäre. Es ist eine Collagetechnik. Die Einheit der "Zauberflöte" kommt von der Hand des Meisters.
Ist nicht auch Mozarts Orchester, das immer eine ganz eigene Welt entwirft, ein einheitsstiftendes Moment?
Es gibt nie etwa einen bloßen Teppich des Orchesters, es ist nie zufällig, wann er Klarinette, Oboe oder Flöte einsetzt, es ist immer eine Verstärkung des Charakters und der Sensibilität des Sängers. Mozart hat die Instrumentierung gewissermaßen erfunden!
Premiere am Sonntag, 22. Oktober um 18 Uhr im Gärtnerplatztheater (Restkarten), weitere Vorstellungen am 24., 26. und 29. Oktober sowie am 1. November und im Dezember