Meint der Meister uns?
Dieses Wochenende wagnert gewaltig: Am Samstag gibt es um 20 Uhr live eine orchestrale „Ring”-Kurzversion am Marstallplatz, am Sonntag wird ab 17 Uhr die „Götterdämmerung” auf eine Großbildwand am Max-Joseph-Platz übertragen. Vor der Aufführung und in den Pausen wird sich Nina Ruge ab 15.30 Uhr mit den Mitwirkenden unterhalten.
AZ: Frau Ruge, Sie haben mit Wagner etwas gemeinsam: einen Hund.
NINA RUGE: Sogar zwei. Lupo, ein Entlebucher Sennenhund, mag Musik. Bei den Golf- und Musiktagen in Bad Wiessee hat er mit Hingabe gebellt, wenn geklatscht wurde. Hohe Töne, etwa von einer Klarinette, versteht er als Wolfsgeheul, auf das er antwortet. Wagner hat er noch nicht gehört, aber ich fürchte, dessen Wucht wäre zu stark für sein zartes Gehör. Er steht eher auf Mozart. Unsere Hündin interessiert sich allerdings nur für den Fressnapf.
Mögen Sie Wagner?
Er ist nicht mein Lieblingskomponist. Ich bin auch nicht der Opernfan, der sich über kleinste Abweichungen von Nuancen beim lyrischen Tenor aufregt. Ich möchte in der Oper fasziniert werden – auch durch schauspielerische Ausnahmeleistungen, wie sie Anna Netrebko perfekt beherrscht, zuletzt etwa in Bellinis „I Capuleti e i Montecchi”.
Da haben Sie Glück – Wagner war auch ein großer Fan von Bellini und dieser Oper.
Ich schätze es, wenn eine Aufführung einen Bezug zur Gegenwart herstellt. In den Inszenierungen der Bayerischen Staatsoper gelingt das fast immer fantastisch – dort gibt es keine verstaubt-konventionellen Arbeiten. Deshalb gehe ich gerne ins Nationaltheater.
Wagner hat drei Opern gebraucht, um die Vorgeschichte der „Götterdämmerung” zu erzählen. Wie schaffen Sie das auf dem Platz?
Wenn ich zu 10000 Menschen auf dem Max-Joseph-Platz spreche, muss ich sehr aufpassen, dass ich die Leute nicht langweile. Könnten Sie den Inhalt der "Götterdämmerung" in vier Sätzen erklären?
In einem: Der Superheld Siegfried wird durch eine Intrige Hagens vernichtet.
Oder: „Gold oder Liebe?” Den Inhalt kann man mit Hilfe der Untertitel verfolgen. Es schadet auch nichts, wenn man vorher im Internet oder einem Opernführer nachliest, worum es geht. Mir ist es wichtiger, darüber zu reden, was uns Wagner heute sagen kann und wie er uns den Spiegel vorhält – das versucht Andreas Kriegenburgs Inszenierung. Darüber werde ich unter anderem vor der Aufführung mit dem Intendanten Nikolaus Bachler sprechen.
Und was passiert in den Pausen?
Ich möchte einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen. Ich möchte wissen, wie man sich als Statist fühlt, wenn man lange in einer Pose verharren muss. Kriegenburgs fantastische Bilder sind sehr stark auch Menschen-Bilder. Ich frage einen männlichen Statisten, wie er als einer von vielen Finanzhaien vom Regisseur gebrieft wurde – und eine weibliche Statistin, wie es ist, als Servicekraft von Gunther sexuell belästigt zu werden.
Aber Sie interviewen auch Sänger?
Okka von der Damerau, eine Rheintochter, ist im achten Monat schwanger. Wenn sie sich am Ende auf den Tischen räkelt, strampelt ihr Sohn. Sie ist sich nicht sicher, ob er Wagnerianer werden wird. Anna Gabler spielt die Gutrune als Nymphomanin und als eine der wenigen läuterungsfähigen Luxuswesen. Ich möchte wissen, wie sie es schafft, innerhalb kurzer Zeit vier Kleider zu wechseln und sich mit der langen Schleppe nicht in dem Schaukelpferd in Form eines Euros zu verheddern.
Die „Götterdämmerung” hat ein offenes Ende. Wird danach alles gut?
Diese Oper steuert in einer ungeheuren Negativität auf den Untergang zu. Kriegenburg will uns verunsichern. Wir müssen uns fragen: Sind wir das, die in dieser Dekadenz leben? Sind wir die Gesellschaft, die sich selbst vernichtet? Wird erst die Gesellschaft, die nach uns kommt, Kraft für eine wahre Erneuerung entwickeln? Also: Kein „Alles wird gut”. Allerdings darf Gutrune am Ende überleben wie noch keine Gutrune vor ihr.
Sonntag, 16 Uhr, Max-Joseph-Platz. Nina Ruge moderiert ab 15.30 Uhr. Am Samstag dirigiert Kent Nagano ein Wagner-Konzert auf dem Marstallplatz hinter der Oper. Der Eintritt ist zu beiden Veranstaltungen frei.Bei „Oper für alle“ ist in lockerer Atmosphäre fast alles erlaubt, was den Nachbarn nicht stört: essen, trinken, mitdirigieren. Glasflaschen sind tabu, ebenso Stühle und Hocker, Regenschirme dagegen erlaubt.
An beiden Tagen gibt es Einschränkungen bei der Tram 19. Die Tiefgarage bleibt offen. Wer am Sonntag bis zum Schluss durchhält, bekommt die Sänger leibhaftig zu sehen: Sie verbeugen sich gegen 23 Uhr auf der Freitreppe der Oper am Max-Joseph-Platz. Und wer lieber zu Hause bleibt, kann die „Götterdämmerung“ live auf der Homepage der Staatsoper verfolgen.