Mehrheitsfähige Liebe
In seinem satirischen Roman „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ unterläuft Autor Rayk Wieland lässig die staatstragende Ernsthaftigkeit zum 20. Jahrestag des Mauerfalls
Die DDR ist für Schriftsteller W. nur noch fahle Erinnerung, besser gesagt: „Irgendwo im Umfeld des Ersten Weltkrieges abgestiegen.“ Daher kommt er stark ins Grübeln, als er im Herbst 2009 als ehemals „verfolgter Untergrunddichter“ und Gründer der „Gruppe 61“ eine Einladung zu einer Podiumsdiskussion erhält. W. hat zwar nichts veröffentlicht und alle Jugendkritzeleien vernichtet, doch – der Stasi sei Dank – sein Leben ist doch erstaunlich detailliert dokumentiert.
Was sich anhört wie die x-te Auseinandersetzung mit dem Unrechtsstaat, ist bei Autor Rayk Wieland ein ganz ungewöhnliches Vergnügen. Sein Roman „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ (Kunstmann Verlag, 208 Seiten, 17.90 Euro) ist zweifellos der humorvollste Beitrag zum staatstragenden Mauerfall-Jubiläum, auch weil er so charmant-beiläufig die Geschichte abhakt („okay – auch Ländergrenzen werden hin und wieder neu sortiert“) und die Brisanz des Themas lässig unterläuft.
Zärtlichkeiten im Mehrheitsentscheid
Kein bisschen Larmoyanz stört den lupenrein ironischen Rückblick in die Weinregale („Bulgarien, Rumänien, eher subklassische Weinanbauländer“) und Speisekarten des Ostens („die amusischste Küche der Welt“). Im Zentrum des Buches aber steht eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte – und deren Nebenprodukt, die Lyrik. Westbekanntschaft mit der Münchnerin Liane macht W., als diese auf Klassenfahrt im Osten weilt. Am einsamen Spreeufer kommt es zur titelgebenden Szene: „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“, sagt W. „Vorausgesetzt, es findet sich eine Mehrheit für diesen Vorschlag.“
Aus dem geplanten Wiedersehen wird ein jahrelanges Sehnen und Schreiben unter den Argusaugen der Stasi, was W. nun 2009 in seinen Akten einsehen kann. Hier tobt sich Autor Wieland munter aus. Die Spottgedichte „Lob der Mauer“ oder „Am Schraubstock“ sind an sich schon Perlen des Humors, die Text-Analyse durch Stasi-Oberleutnant Schnatz geben den Zeilen noch eine ganz andere Bedeutung. Westdeutsche Leser mögen sich hier allenfalls an die Pedanterie ungeliebter Deutschlehrer erinnern.
Volker Isfort
In der der Langen Nacht am Samstagabend sind Rayk Wieland, Susanne Schädlich, Kurt Drawert, Jan Böttcher, Claudia Seifert und Renate Niebler zu Gast und stellen ab 20 Uhr ihre aktuellen Bücher vor (Black Box im Gasteig, 31. Oktober, Eintritt 10 Euro)
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