Mehr geht nicht ohne Freddie
Queen begeistern mit einem bombastischen Auftritt in der Olympiahalle - und klingen endlich wieder wie zu alten Zeiten. Für alle Beteiligten ein geradezu befreiendes Erlebnis.
Die Rückkehr aus dem Reich der Toten ist keine einfache Sache. Viele Monster-Bands der 70er und 80er Jahre verschwanden nachdem sie aus der Zeit gefallen waren oder Mitglieder verloren hatten. Versuche der Wiederbelebung aus monetären oder nostalgischen Gründen endeten nicht selten als peinlicher Abklatsch einstiger Größe. Als Queen vor drei Jahren (eine musikhistorische Ewigkeit nach dem Tod ihres unvergleichlichen Sängers Freddie Mercury 1991 und lange nach dem Ausstieg des Bassisten John Deacon) zusammen mit dem Ex-Free-Frontman Paul Rodgers wieder auf die Bühne gingen, waren sie eine lebende Leiche. Schlimm sind die Erinnerungen an ihren damaligen matten, verdudelten Auftritt in der Olympiahalle – man hatte schon Queen-Coverbands gesehen, die authentischer rüberkamen als dieser kraftlose Zombie mit den neuen, viel zu glatten Blues-Vocals.
Andere Ex-Riesen aus der goldenen Zeit des Rock zogen locker an Queen vorbei, die Who bekamen live plötzlich wieder Kraft und Glanz, Led Zeppelin donnerten wiedervereint wie einst im Mai. Und jetzt nochmal Queen, wieder mit Paul Rodgers, der doch immer mit dem Stigma des fehlenden Freddie leben und daran scheitern muss? Wo doch Gitarrist Brian May allmählich aussieht wie Wolfgang Niedecken und der einstige Testosteron-Knaller „We Will Rock You“ zu einem Liedchen aus der Baumarkt-Werbung geworden ist? Immerhin kommen sie diesmal mit der ersten Studio-CD in der neuen Besetzung („The Cosmos Rocks“), auf der sich ein paar Songs befinden, die plötzlich wieder den alten, fetten, überkandidelten, schillernden Queen-Sound ahnen lassen. Die Spannung ist jedenfalls groß genug, dass sich Münchens größte Halle noch einmal füllt.
Keine Vorband, kein langes Warten – um Viertel nach Acht beginnt ein Abend, der mit 26 Songs in knapp zweieinhalb Stunden zu einer Riesen-Überraschung werden wird – nicht nur für Skeptiker und Freddie-Fans. Nach einem Vorspiel aus reichlich „Cosmos“-Blitz und -Donner wagt die Band den Einstieg mit einem neuen Stück: „Surf's Up... School's Out“ - und siehe da: Es steht prächtig in einer Reihe mit den sich anschließenden (ur-)alten Hardrock-Reißern „Tie Your Mother Down“ und „Fat Bottomed Girls“. Dann ein souveräner Schwenk ins Hit-Programm mit „Anotherone Bits The Dust“, „I Want It All“ und „I Want To Break Free“. Es ist noch keine halbe Stunde vorbei – und die Halle steht, singt und jubelt. Was ist passiert?
Offenbar steht da eine Band auf der Bühne, die ihre Seele wiedergefunden hat – und einen Weg, mit der Lücke des für immer fehlenden Freddie klarzukommen: Die oft operettenhafte Opulenz hat wieder die dringend notwendige leichte Ironie, die oft vielstimmigen Gesangsparts sind wieder näher bei Mercury, Mays Gitarre hat allen Freiraum, den sie braucht. Queen klingen endlich wieder queeniger – das ist für alle Beteiligten ein geradezu befreiendes Erlebnis.
Und vielleicht hat ja auch die Münchner Wiesn-Luft ihren Teil dazu beigetragen, dass die Musiker so locker und selbstverständlich mit ihrem Material spielen als wäre es das einfachste auf der Welt, eine Legende wiederzubeleben. Einen schönen Bayern-Gag haben sie jedenfalls mitgebracht, nach ihrem Oktoberfestbesuch am Vorabend: In (Touristen-)Tracht und mit „singendem Bierkrug“ kommen sie auf eine kleine Bühne mitten in der Arena – und dann trällern alle voller Inbrunst „a Volkslied“, so Brian May auf Deutsch, nämlich den den Party-Schunkler „Thirty-Nine“. Noch bemerkenswerter ist allerdings das Solo von Schlagzeuger Roger Taylor (der zweiten Original-Queen neben May) an gleicher Stelle: Nur mit den Sticks auf den Saiten eines elektronischen Kontrabass' begonnen, lässt er im Spielen Hi-Hat, Snare, Toms und Becken um sich herum aufbauen, bis er schließlich die gesamte Schlagbatterie in voller Fahrt zu „I'm In Love With My Car“ lenken kann.
Die neuen Songs fügen sich mal hervorragend („C-lebrity“), mal recht gut („We Believe“) ins Programm ein, gelegentlich erinnern die neuen Teile etwas sehr an den Bluesrock von Rodgers Ex-Band Free. Deren größter Hit („All Right Now“) steht aber nun so selbstverständlich im Programm, als wäre er schon in den 70ern zur Zweitverwertung durch Brian May ausgeschrieben worden. Ebenso wird deutlich, wo die Gefahr liegt für die neu-alte Queen: Als Rodgers solo zur Akustik-Klampfe greift, schnurrt der herrliche Rock-Bombast sofort zusammen zum Mainstream-Kitsch. Doch das bleibt ein kurzer Schreck-Moment. Unverkrampfter als zuletzt fügen sich die Band-Einspielungen mit Freddie Mercury bei „Show Must Go On“ und „Bohemian Rhapsody“ ins Programm, mächtig neuen Dampf hat May beim „Brighton Rock“, dem feuchten Echo-Traum aller Gitarren-Heros, nun angereichert mit Pink-Floyd-artigem Sphären-Geheul.
Als die Halle eh schon komplett auf den Beinen ist, lassen Queen das „Crazy Little Thing Called Love“ schweben, so luftig-leicht, als hätten sie auf der Wiesn auch die Zuckerwatte getestet. Als Zugabe wird noch einmal kurz, beherzt und erfolgreich in die Neuzeit gegriffen - „The Cosmos Rocks“ - und sie holen sich „We Will Rock You“ aus dem Baumarkt zurück. Dann der klassische Abgang der Königin mit „We Are The Champions“ - die Oly ist ein Meer aus jubelnden Armen. Schon vor der Zugabe hatte Freddie seiner Band mal kurz von der Leinwand aus zugenickt. Besser konnten sie es ohne ihn nicht machen.
Michael Grill