Megäre mit Herz
Eine Entdeckung für die Bayerische Staatsoper: Regisseur und Provokateur Hans Neuenfels über die Ehe, Skandale und seine Inszenierung von Giovanni Simone Mayrs „Medea in Corinto“
Seine Aida schrubbte als Putzfrau die Böden. Und auch sonst war Hans Neuenfels immer für einen Skandal gut. Oder zumindest für heftige Debatten wie zuletzt in Berlin, als seine Inszenierung von Mozarts „Idomeneo“ mit dem abgeschlagenen Kopf des Propheten Mohammed abgesetzt wurde. Im Alter von 69 Jahren debütiert der Regisseur endlich an der Bayerischen Staatsoper – mit Giovanni Simone Mayrs „Medea in Corinto“.
AZ: Herr Neuenfels, sind Sie ein Frauenversteher?
HANS NEUENFELS: Ich habe mich immer sehr für Frauenstücke interessiert. Eine Zeitlang haben meine Frau (Anm.: die Schauspielerin Elisabeth Trissenaar) und ich uns auf diese Weise sogar realisiert. Sie hat ja die großen Frauenrollen gerne und toll gespielt. Abgesehen davon erzählen die Frauen uns Männern oft mehr, als die Männer den Männern.
Was fasziniert Sie an Frauen?
Ihre Unbedingtheit. Frauen sind konsequenter, auch radikaler als Männer, und sie haben den längeren Atem. Bei Männern dominiert eher das Prinzip, das erstarrt, während bei Frauen das persönliche, eigenständige Durchhalten bedeutend entwickelter ist. Sicher auch, weil die Frauen gebären können. Das macht es nicht nur spannender, sondern auch irritierender. Ein Prinzip dagegen ist leicht überschaubar.
Neben der Penthesilea steht besonders die Medea als mythisch-mächtige Frauenfigur. Was ist das für eine?
Sie wirft vor allem eine große Frage auf: Wie befreit sich ein Mensch – egal ob Frau oder Mann – im Augenblick tiefster Verzweiflung aus einer erniedrigenden Ohnmacht. Das ist immer ein Skandal, eine Grenzüberschreitung. Medea tötet ihre Kinder – eine unvorstellbar radikale Handlung.
Die bei Giovanni Simone Mayr fast harmlos klingt. Kurz bevor Medea ihre Kinder umbringt, hat die Geige noch ein schönes Solo...
Gerade diese Geige – wir bringen sie auch auf die Bühne – steht für einen inneren Monolog der Medea. Für ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit, Hoffnung auf ein anderes Empfinden. Das ist von Mayr toll beobachtet. Und er unterläuft von Anfang an die Erwartungen, die man gemeinhin an Medea als Megäre hat. Mayr zeigt uns auch eine humane Person, die erst langsam in diesen Zustand der Verzweiflung gerät. Das ist sehr eigenständig, und das spricht für die Qualität dieses Werks.
Medea thematisiert ja auch den Konflikt der Kulturen. Im heutigen Sinne ist Sie doch eine Asylantin.
Ja, und sie steht für das Fremde schlechthin. In der korinthischen Gesellschaft, die sehr militant und logischerweise auch fremdenfeindlich war, hatte man fast eine hysterische Angst vor diesem Fremden. Andernfalls ist das Ganze nicht zu verstehen.
Ihre Frau Elisabeth Trissenaar und Sie spiegeln sich auf der Bühne, haben Sie mal gesagt. Wie sieht das bei der Medea aus?
Über das rein Historische hinaus ist die Beziehung zwischen Medea und Jason ja auch eine Ehe, wie wir sie alle kennen. Das möchte ich dem Publikum auch klar machen. Man weiß doch um die typischen Auseinandersetzungen, die Reibereien.
Und Ihr Bühnenpersonal ist sicher wieder in einer Dauer-Analyse. Hätten Sie eigentlich auch in der Psychiatrie landen können? Als Arzt natürlich.
Das wäre allerdings denkbar. Aber sowohl als auch. Ich habe mich immer sehr für Medizin interessiert.
Und Sie haben einen Gutteil Ihres Regie-Daseins als Skandalnudel verbracht. Wollen Sie eigentlich provozieren?
Nein.
Das sagen alle Skandalnudeln.
Ich habe eben meine Meinung, da kann man nichts machen. Die stellt sich ein, wenn ich ein Stück lese oder höre.
Das Publikum sitzt heute brav in den Vorstellungen, kann man überhaupt noch schockieren?
Ich weiß nicht, ob sich in den Empfindungen so wahnsinnig viel geändert hat. Ich glaube eher, wir sind heute irrsinnig informiert. Und man weiß auch nicht so recht, ob man sich aufregen soll. Bei wichtigen Dingen geht doch keiner mehr hoch.
Sind wir zu abgestumpft?
Das würde ich so formulieren. Und kühl natürlich, sehr ökonomisch mit unseren Gefühlen. Für mich ist das ein Verlust. Ich bin jetzt 69 und finde unsere Zeit besonders langweilig. Aber besser langweilig, als dass Krieg ist. Es gibt inzwischen nur noch wenige naiv begeisterungsfähige Menschen. Das hat auch mit einer Angst zu tun, sich lächerlich zu machen. Ich jedenfalls kann mich immer noch aufregen und komme mir dann ganz fremdartig vor.
Ihr „Idomeneo“ in Berlin wurde abgesetzt – aus Angst, die Muslime damit zu ärgern. Schleicht sich bei diesen Entwicklungen nicht doch eine Schere in den Kopf ein?
Die Inszenierung entstand ja aus ganz bestimmten Überlegungen heraus. Bei der Premiere kam es zu einem kurzen Aufschrei, dabei blieb’s. Dann weitete sich das Ganze übers Theater hinaus. Eine Schere, nein, aber ein entsprechendes Stück würde ich nicht mehr annehmen.
Parallel zur „Medea“ stemmen Sie den „Lohengrin“ in Bayreuth. Ist das nicht ein bisschen viel?
Allerdings. Das ist mir noch nie passiert. Aber da müssen wir jetzt durch und pendeln.
Für Leute, die nicht aus der Musik kommen, gibt es in Opernkreisen die nette Bezeichnung Reclamheftl-Regisseur. Wie nähern Sie sich einem Werk?
Natürlich lese ich auch, aber in erster Linie krieg’ ich ein Werk übers Hören.
Dann laufen bei Ihnen tagelang CDs?
Ja. Monatelang. Aber das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der auch Spaß macht. Beim „Lohengrin“ und auch bei der „Medea“ hat das über anderthalb Jahre gedauert. Was dann auch meiner Frau irgendwann sehr auf die Nerven ging. Interview: Christa Sigg