"Mauser" von Heiner Müller, inszeniert von Oliver Frljiæ
Ein Whisky auf den Tod: Oliver Frljiæ inszeniert im Marstalltheater Heiner Müllers "Mauser"
Tote sind ein instabiler Untergrund. Wenn die Revolutionäre buchstäblich über Leichen gehen, ringen sie mit dem Gleichgewicht. Der menschliche Körper steht im Zentrum dieser Choreographie des Mordens, ob tot oder lebendig, ob nackt oder verhüllt, ob liebevoll gewaschen oder grausam geschunden. Einmal rollen sich fast artistisch die bloßen Leiber von Christian Erdt, Marcel Heuperman und Frank Pätzold in einem verknäulten Pas de trois als ein dreiköpfiges Monster mit zwölf Gliedmaßen über den Boden.
Was ist der Mensch? Das ist die immer wieder repetierte Frage des nur vom Umfang her überschaubaren Texts und auch der Motor, den der Regisseur Oliver Frljiæ schon immer antrieb. Wo sein Name draufsteht, ist häufig Skandal drin. In Polen und vor allem in seinem Heimatland Kroatien ist er mehr als nur ein Enfant terrible, sondern ein Künstler, dessen Provokationen zu Morddrohungen animieren.
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Bei "Balkan macht frei", seiner letzten Arbeit im Marstall, gelang es ihm sogar, mit der inzwischen legendären Waterboarding-Folter an Franz Pätzold das abgebrühte Münchner Publikum zu heftiger Reaktion zu verleiten. So etwas funktioniert aber nicht immer. Auch die Zuschauer in der ersten Reihe, die nun von einem nackten Marcel Heuperman bedrängt werden, bleiben gelassen. Trotzdem ist dieses Lehrstück sowohl in der als auch gegen die Tradition Bertolt Brechts ein starker Theaterabend.
Der Dichter Wladimir Majakowski feierte in seiner revolutionären Lyrik die von den Bolschewiki besonders geschätzte Pistole der Marke Mauser als "Genosse Mauser". Für die Hinrichtungsspezialisten war die Waffe vor allem ein zuverlässiger Arbeitskollege. In seinem 1970 verfassten Text "Mauser" baute Heiner Müller aus dem Prozess zwischen einem Parteigericht und zwei "unwürdig" gewordenen Killern ein Modell für die Menschen verachtende Moral der Revolution: "Das tägliche Brot der Revolution", manifestiert ein Chor, "ist der Tod ihrer Feinde".
Schweigen und Genießen
A. wurde zum Feind, weil er die Revolution anzweifelte. Vor seiner Hinrichtung, der er zudem auch noch selbst zustimmen muss, soll er B. erschießen. Der hatte Mitleid mit drei Bauern, die er laufen ließ. Frljiæ erzählt nicht einfach einen Vorfall der russischen Revolution, sondern nimmt den Konflikt persönlich, in dem er ihn in die Balkan-Kriege der 1990er Jahre verlängert. Der Autor ist anwesend, wenn auch nicht physisch: In einer fast sakralen Szene entrollt sich über die gesamte Rückwand der Bühne ein Porträt von Heiner Müller. Für Personenkult ist das Schwarzweißfoto dennoch nicht geeignet: Nicht triumphierend, sondern mit gelassener Skepsis und der geliebten Havanna in der Hand blickt er milde herab.
Den fast stummen Dichter auf der Bühne spielt Alfred Kleinheinz. Am Ende muss er sich einem Interview stellen, montiert aus authentischen Gesprächen mit Müller, und säugt an der Brust von Nora Buzalka die schwarze Milch aus Paul Celans "Todesfuge". Wenn der Geschichtspessimismus am trostlosesten ist, folgt ein überraschender, fast heiterer Schluss: Buzalka zerstört mit einer Axt die in Eis gehauene Müller-Büste. Dann greift sich der Dichter eines der Trümmer seines gefrorenen Abbilds, wirft es ins Whiskyglas, schweigt und genießt.
Marstall, 22., 27., 29. Mai, 9., 17. Juni, 20 Uhr Telefon 218 51 940
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