Grünen-Kultursprecherin Sanne Kurz nach Söders Kultur-Kahlschlag: "ARD hat keine Strategie für die Zukunft"

Die Kultursprecherin der Grünen, Sanne Kurz, spricht im AZ-Interview über die Kulturbaustellen des Freistaats zwischen München und Bayreuth.
Robert Braunmüller
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Sanne Kurz studierte an Hochschulen in in München und Amsterdam Dokumentarfilm, Kamera und Bildgestaltung und arbeitete als Kamerafrau. 2017 wurde sie für die Grünen in den Landtag gewählt. Kurz ist Sprecherin für Kultur und Mitglied des Rundfunkrats.
Sanne Kurz studierte an Hochschulen in in München und Amsterdam Dokumentarfilm, Kamera und Bildgestaltung und arbeitete als Kamerafrau. 2017 wurde sie für die Grünen in den Landtag gewählt. Kurz ist Sprecherin für Kultur und Mitglied des Rundfunkrats. © Sven Zellner

Im Mai kündigte Bayerns Kunstminister Markus Blume eine "Kulturkaskade" an, die den Sanierungsstau bei staatlichen Kulturbauten auflösen soll. Nacheinander und ineinander übergreifend sollen das Residenztheater, das Nationaltheater und die Hochschule für Musik und Theater saniert werden. Mit dem ersten Spatenstich für das Werkstättenzentrum des Residenztheaters ist ein Anfang gemacht.

AZ: Frau Kurz, regierungsnahe Kulturpolitiker haben mir erzählt, sie hätten mehr Kritik der Opposition an Markus Blumes "Kulturkaskade" erwartet. Warum waren Sie vergleichsweise zurückhaltend?
SANNE KURZ: Über eine Kaskade sprudelt das Wasser herunter: Das ist schwer, mit der Faust aufzuhalten. Wir haben ständig Anfragen zu den sanierungsbedürftigen Bauten wie dem Nationaltheater oder dem Herkulessaal gestellt und nach konkreten Daten gefragt, aber es ist lange nichts passiert. So kam es zu dem Sanierungsstau, der jetzt mit der Kulturkaskade abgearbeitet werden soll.

Grünen-Kultursprecherin Sanne Kurz: "Wir werden ein Problem mit den Interimsspielstätten bekommen"

Was halten Sie von Blumes Zeitplan für die Sanierung von Residenz- und Nationaltheater?
Wir werden ein massives Problem mit den Interimsspielstätten bekommen. Wenn Blume jetzt auf das Kulturkraftwerk Bergson in Aubing verweist: Mit Verlaub: Da kann vielleicht ein Streichquartett spielen, aber für ein Kammerorchester ist es schon zu klein. Etwas abgelegen scheint es mir auch.

Was wäre denn Ihr Konzept?
Ich begrüße den Baubeginn für das Werkstättenzentrum des Residenztheaters. Leider wurde versäumt, hier bereits den Bedarf anderer sanierungsbedürftiger Häuser mit einzuplanen – ähnlich wie bei der Hochschule für Fernsehen und Film, wo damals gleich das Ägyptische Museum mitgebaut wurde. Blume müsste jetzt eine große Interimsspielstätte bauen, die nacheinander vom Staatsschauspiel und der Staatsoper genutzt werden könnte. Aktuell werden einzelne Interims gesucht. So verliert die Kaskade ineinandergreifender Sanierungen ihren Sinn. Da fehlt es mir an der Weitsicht.

Bayerischer Sanierungsstau: Andreas Beck, der Intendant des Residenztheaters, erinnerte bei dem ersten Spatenstich zum neuen Werkstättenzentrum daran, dass schon vor 35 Jahren, als er als junger Dramaturg am Haus engagiert war, von einem baldigen Baubeginn die Rede war.
Bayerischer Sanierungsstau: Andreas Beck, der Intendant des Residenztheaters, erinnerte bei dem ersten Spatenstich zum neuen Werkstättenzentrum daran, dass schon vor 35 Jahren, als er als junger Dramaturg am Haus engagiert war, von einem baldigen Baubeginn die Rede war. © RBR

Sanne Kurz (Grüne): "Ich vermisse den Blick für die Zusammenhänge"

Was schlagen Sie vor?
Alle Liegenschaften der öffentlichen Hand – Staat, Stadt und Bezirk – müssten geprüft werden, ob sie sich für Interims nutzen lassen und was das kostet. Dann kann man loslegen. Ich vermisse den Blick für die Zusammenhänge. Die Staatsregierung legt alles auf einen großen Stapel und arbeitet es nacheinander ab. Und ob er es überhaupt abgearbeitet wird, werden wir nach der Wahl sehen.

Müssten in München Staat und Stadt nicht mehr zusammenarbeiten?
Ich weise da immer auf Beispiele hin, bei denen es funktioniert hat, wie etwa dem NS-Dokuzentrum. Auch beim Filmfest arbeiten Staat und Stadt zusammen. Und, was weniger bekannt ist: die Messe München. Aber es stimmt, dass zu viele Leute vorschnell sagen: Geht eh nicht.

Ist das Konzerthaus im Werksviertel eigentlich tot?
Es bräuchte eine Persönlichkeit, die als Lobbyist für dieses Projekt einsteht und ihm ein Gesicht gibt.

Simon Rattle tritt im Herbst als neuer Chefdirigent beim BR-Symphonieorchester an, das sich vor allem diesen Bau wünscht.
Ich bewundere sehr, was Simon Rattle macht. Aber er steht mehr für Aikido. Der Zustand des Projekts bräuchte aber eher Karate.

Vor gut einem jahr dirigierte Simon Rattle vor dem Riesenrad im Werksviertel einen Flashmob mit Musikern aus ganz Bayern, um gegen Söders "Denkpause" beim Konzerthaus, das an dieser Stelle gebaut werden soll.
Vor gut einem jahr dirigierte Simon Rattle vor dem Riesenrad im Werksviertel einen Flashmob mit Musikern aus ganz Bayern, um gegen Söders "Denkpause" beim Konzerthaus, das an dieser Stelle gebaut werden soll. © Sven Hoppe

"Die ARD hat keine Strategie für die Zukunft ihrer Orchester"

Die nötigen Interimsbauten wären eine letzte Chance für das Projekt.
Die wird, fürchte ich, verschenkt. Die Verzögerungen wären eine Chance, noch einmal grundsätzlich über das Projekt nachzudenken, damit man nicht letztendlich ein Gebäude mit einer veralteten Planung bekommt.

Ich sehe im Umfeld der Diskussion über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks generell schweres Wetter für die Klangkörper aufziehen. Sie auch?
Ich bin Mitglied des Rundfunkrats. Der Fraktionsvorsitzende der CSU im Landtag ebenfalls. Thomas Kreuzer fehlte neulich bei einer Sitzung, weil er in Rostock mit anderen Unions-Fraktionschefs beschlossen hat, dass der Rundfunkbeitrag auf Dauer eingefroren wird. Das wird massive Auswirkungen haben. Ich stelle immer wieder fest: Die ARD hat keine Strategie für die Zukunft ihrer Orchester. Das finde ich gefährlich. Außerdem ist immer noch die rhetorische Frage des WDR-Intendanten Tom Burow im Raum, ob man die Orchester wirklich brauche.

Nach BR-Kahlschlag: "Wird dem Kulturstaat Bayern massiv Schaden zufügen"

Was sagen Sie dazu. dass ein Programmschema diskutiert wird, in dem bei Bayern 2 fast alle Kultursendungen nicht mehr auftauchen?
Den Kahlschlag bei der Kultur im BR sehe ich als direkte Folge politischen Drucks: Wenn die Partei des Ministerpräsidenten Markus Söder im Wahlprogramm ein "einfrieren" von Beiträgen fordert, muss man sich über Konsequenzen und Kahlschlag nicht wundern. Kultur-Kahlschlag ist allerdings keine dringend nötige Reform, keine Verschlankung; Kultur-Kahlschlag ist staatliche verordnete Schwindsucht und wird dem Kulturstaat Bayern massiv Schaden zufügen. Wir Grüne werden uns vehement gegen diesen Kultur-Kahlschlag stemmen.

Die Leiterin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner (links), bekommt von Markus Söder, (CSU) Ministerpräsident von Bayern, den Bayerischen Maximiliansorden verliehen.
Die Leiterin der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner (links), bekommt von Markus Söder, (CSU) Ministerpräsident von Bayern, den Bayerischen Maximiliansorden verliehen. © picture alliance/dpa

Wie stellen sich die Grünen die Zukunft der Bayreuther Festspiele vor?
Insgesamt scheint uns das Festival unterfinanziert. Das Reeperbahn-Festival bekommt mehr Geld vom Bund als Bayreuth. Allerdings ist die Konstruktion als Stiftung mit der Beteiligung des Freistaats und des Bundes und dem Einfluss der Familie Wagner sehr kompliziert und der Öffentlichkeit heute auch kaum vermittelbar. Da müsste man ran. Außerdem ist das Gebäude stark sanierungsbedürftig.

"Es sollte langfristiger gefördert werden, damit Produktionen länger gezeigt werden können"

Auf Plakaten lese ich von einem "Green Deal" für Kultur. Was ist das?
Wir Grüne betonen sozial-ökologische Nachhaltigkeit. Vorgaben zur Klimaneutralität – die gar nicht wir Grüne beschlossen haben, sondern die Merkel-GroKo mit CDU und CSU oder von der EU kommend – wirken sich kostensteigernd aus. Etwa bei Materialien, beim Heizen, beim Reisen, bei Gastspielen. Dafür muss es vorausschauende Lösungen geben.

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Müsste der Freistaat mehr für die Freie Szene in ganz Bayern tun – oder soll er sich da raushalten?
Das muss vernetzt gedacht werden. Die Freie Szene ist ja keineswegs so frei, wie sie gern wäre und auch von öffentlichen Mitteln abhängig. Viele Leute arbeiten in beiden Bereichen, Freie Szene und sogenannte Hochkultur befruchten sich gegenseitig. Wir verlangen eine auskömmliche Förderung, die unter Mitsprache der Verbände über Jurys verteilt werden soll. Außerdem sollte langfristiger gefördert werden, damit Produktionen auch länger und öfter gezeigt werden können. Das ist nötig, um sich zu entwickeln und Dinge auf ein bestimmtes Level bringen zu können. Da wünschen wir uns mehr Nachhaltigkeit.

Es ist ein verbreitetes Vorurteil, die Grünen hätten ein Problem mit der Hochkultur.
Ich rede lieber von Spitzenkultur. Es braucht auch Träume für junge Leute, die ein Instrument lernen, eine Bühne, auf der sie einmal stehen werden. Solche Träume gibt es nur, wenn Spitzenkultur genau wie Breitenkultur gefördert und erhalten wird.

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  • UlrichStein am 05.08.2023 19:14 Uhr / Bewertung:

    Das Mobbing und die Cancel culture gegen den BR seitens der CSU hat schon jahrzehntelang Tradition. Schon 1986 ließ Franz-Josef Strauß eine Kabarettsendung canceln, die sich über die Tschernobyl-Katastrophe lustig machte. Da verstand der Atom-Guru keinen Spaß.
    Alles schon mal da gewesen.

  • muc_original_nicht_Plagiat! am 05.08.2023 22:27 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von UlrichStein

    Bitte erklären Sie mir, wie dieses von Ihnen beschriebene "Mobbing und die Cancel culture gegen den BR seitens der CSU" genau aussieht. ich bin sehr erstaunt darüber, wie hier Foristen die BR-Welt erklären, ohne jemals selbst Einblicke in den BR gehabt zu haben ... aber ich bin auch gespannt darauf, Beispiele für Mobbing und Cancel Culture durch die CSU gege den BR zu hören ... also ich meine, aktuelle Beispiele, die auf fundiertem Wissen und Fakten basieren. Fakten, die diese Causalität rechtfertigen, die von Ihnen hier hergestellt wird.

    Fakt: Im BR selbst sind schon lange nicht mehr die Konservativen, früher als Schwarzen(=CSU) bezeichneten Kräfte und Mehrheiten zu finden. Es hat eine Entwicklung stattgefunden, die in vielen Medien zu beobachten ist: eine klare Mehrheit der im BR arbeitenden Redakteure sind links-grün orientiert und entsprechend ausgerichtet. Konservative Meinungen, Inhalte, Bewertungen finden offen immer weniger statt. Pro Söder, Pro CSU =verpönt, geächtet. Ff

  • am 06.08.2023 08:58 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von UlrichStein

    Eher andersherum. Der BR biedert sich doch seit jener an die Staatsregierung an, die Oberen insbesondere, um an die Fleischtöpfe zu gelangen.

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