»Manchmal weine ich unter Niveau«

Zum 125. Mal lädt Ottfried Fischer am Freitag in den Schlachthof. Im AZ-Interview sprach das kabarettistische Schwergewicht über sich, Beckstein, Cruise und Nokia.
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Zum 125. Mal lädt Ottfried Fischer am Freitag in den Schlachthof. Im AZ-Interview sprach das kabarettistische Schwergewicht über sich, Beckstein, Cruise und Nokia.

AZ: Herr Fischer, sind Ihre Schlachthof-Messer für Roland Koch gewetzt?

OTTFRIED FISCHER: Ja, so kurz vor der Hessen-Wahl kommen wir nicht an ihm vorbei. Wobei ich mit Genugtuung registriere, dass seine Hetz-Parolen zur Jugendkriminalität immer mehr Bürger anwidern. Ich vermute, dass er als nächstes ein Säuglings-Strafrecht vorschlagen wird, wegen fortgeführter Sachbeschädigung der Windeln. Dabei ist er ja selbst nicht frei von Untaten. Er hat die Spenden-Lüge durchgestanden und den Judenstern-Vergleich.

Arbeit gibt es immer

Für Kabarettisten ist Koch sicher dankbarer als Niedersachsens Wahlkämpfer, der nette Herr Wulff.

Das schon, aber deswegen möchte er bitte nicht mehr gewählt werden. Es gibt genug andere, die wir aufs Korn nehmen können.

Zum Beispiel Günther Beckstein?

Letzte Woche beim Filmball hat er mich gefragt, ob wir unser Programm jetzt nach dem Ministerpräsidenten-Wechsel umstellen müssen.

Und?

"Ornella Mutti" - ein fränkisches Problem

Arbeit gibts immer, habe ich gesagt. Und er entgegnete: Man muss manchen Leuten zugestehen, dass sie dagegen denken.

Ihm muss man wohl zugestehen, dass er mit Namen nicht so fit ist. Beim Filmpreis erwähnte er Martin Sorkäse und meinte Scorsese.

Das ist nicht so schlimm, ein fränkisches Problem, dass man Namen nicht so aussprechen kann. Zu Ornella Muti hat Beckstein immer Frau Mutti gesagt.

(Sein Handy klingelt, er zieht es aus dem Sakko, schaltets aus.)Sie haben ein Nokia.

Nicht mehr lange. In den nächsten Tagen gebe ich es zurück.

Wie Seehofer und Struck.

Und hoffentlich noch sehr viele Menschen. Diese Konsumverweigerung trifft den Konzern.

Das Unwort der letzten fünf Jahre: "lecker"

Nokia könnte das Unwort 2008 werden – nach der aktuellen "Herdprämie".

Das größte Unwort der letzten fünf Jahre – aber nur für Bayern – ist "lecker". Ich bin kein Bayerntümler, aber wenn gstandne Münchner etwas lecker finden, dieses rheinische Wort einfach übernehmen, dann ist das lingualästhetisch so unterirdisch, dass mir der Erstkommunions-Kuchen hochkommt.

Wann noch?

Bei der Dirigismus-Wut des Staates. Das Rauchverbot ist zwar angenehm, weil die Lokale nicht mehr zugequalmt sind und man am nächsten Tag keinen Brummschädel hat. Aber dieses ständige Reglementieren ist einer aufgeklärten Gesellschaft nicht würdig. Das fing mit dem Gong beim Autofahren an, wenn man sich nicht anschnallt. Ich bin nicht gegen’s Anschnallen, aber gegen das ständige "du musst".

Und jetzt die Online-Überwachung.

Wir lassen uns zuviel gefallen

Die mag vereinzelt notwendig sein, aber die klammheimliche Freude, mit der die Politik dadurch allgemein auf Verschärfung setzt, die macht mir Sorge. Ich finde, wir lassen uns zu viel gefallen.

Der Kabarettist ist ein Mensch, der gern laut nachdenkt, haben Sie mal gesagt.

Diese Form des kritischen Exhibitionismus lebe ich gerade. Nach 100 Filmen in 12 Jahren habe ich mal wieder Lust auf was Eigenes: Ich schreibe an einem Programm, das im Juni Premiere hat.

Gibts schon einen Titel?

"Wo meine Sonne scheint" – es geht um Heimat, Patriotismus und Religion. Und, dass es heute wieder wichtig ist, wertkonservativ zu sein und zwar im bewahrenden Sinn.

Gestrig ist blödkonservativ

Also nicht gestrig.

Nein, das ist blödkonservativ. So wie Tom Cruise. Er ist der scientologische Propagandaminister. So einem gibt man keinen Courage-Preis, wie im November in Düsseldorf. Den hätten die Opfer der Sekte verdient, die sich gegen Gehirnwäsche wehren. Und noch was für die Bambi-Verleiher: Wer am Bayerischen Staatstheater anfängt, muss unterschreiben, dass er kein Scientologe ist.

Sie sind vom Land wieder in die Stadt gezogen. Wo gehen Sie in München gern hin?

In die wiederbelebte Occamstraße. Die Lach und Schieß, das Vereinsheim, das Lustspielhaus, das Ringelnatz. Endlich haben die Kabarettisten wieder eine Szene.

Ex-Kanzler Schröder umgab sich gern mit Kabarettisten, überhaupt mit Künstlern.

Angst vor 16 Jahren Merkel

Er war ein Kultur-Kanzler und Lebemann. Seine gesellige Attitüde hat mir gefallen. Frau Merkel ist mir zu mysteriös. Von der weiß ich nur, dass sie Chemikerin ist. Ich weiß aber nicht, wie Chemiker sind. Allerdings hat sie sich schon schön festgesetzt. Ich habe Angst vor 16 Jahren.

Wen hätten Sie gern als Kanzlerkandidat?

Peer Steinbrück. Der Finanzminister hat eine offene, fast verletzende Art, die Wahrheit zu sagen. Da entsteht zwar Kompetenzvermutung, aber zur Kandidatur wird’s aufgrund von Populismusdefiziten nicht reichen.

In welcher Ihrer Rollen steckt besonders viel Fischer?

Die meisten sind ziemlich nah bei mir, aber beim Sir Quickly aus "Irgendwie und Sowieso" stimmt alles 1:1. Da steckt meine Jugend drin.

Tränen für "Tango-Fredy"

Premiere war 1986. Welche Szene hat sie stark berührt?

Als der Tango-Fredy, der Bruno Jonas, tödlich verunglückt. Da kommen mir noch heute die Tränen, wenn ich die Folge sehe.

Weinen Sie auch im Kino?

Und ob. Ich finde, das ist ein Kompliment für die Macher. Manchmal weine ich auch unter Niveau – bei einer 50er-Jahre-Schmonzette.

"Mama" Drexel ist unersätzlich

Ab Frühling sind Sie wieder als "Bulle" zu sehen, ohne Ihre TV-Mama. Ruth Drexel ist krank. Wie gehts ihr?

Ich, wir alle hoffen und wünschen ihr das Beste, denn die „Mama“ ist unersetzlich.

Dschungelcamp ein Fall für den Tierschutz

Ihr Schlachthof läuft am Freitag gegen das RTL-Dschungelcamp.

Das ist ja jetzt ein Fall für den Verfassungsschutz. Auch müsste langsam der Tierschutz eingreifen. Es ist den Krokodilen nicht mehr zuzumuten, wer da alles an so genannten Stars auftaucht.

Realsatire gegen Kabarett.

Vielleicht laufen uns ein paar Zuschauer weg. Aber denen ist dann auch nicht mehr zu helfen.
Interview: Renate Schramm

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