Man muss die Herzen berühren
Mit Ruth Drexel starb Münchens bekannteste Volksschauspielerin. Doch man muss sich um das Genre nicht sorgen – es wächst viel nach
Ein Volksschauspieler sei ein „Darsteller, der nicht spielen muss, sondern bei dem die Handlung aus dem Bauch heraus kommt“, hat Erni Singerl einmal gesagt. Sie war selbst eine der Großen ihrer Zunft, die jetzt mit Ruth Drexel ihre prominenteste Protagonistin verloren hat. Nicht nur als Schauspielerin, auch als Intendantin des Volkstheaters, Regisseurin und Leiterin der Tiroler Volksschauspiele in Telfs hat Ruth Drexel einen modernen Begriff des Volkstheaters mitgeprägt, war Vorreiterin und Wegbereiterin.
Die meisten der bekannten Volksschauspieler haben eine solide Theaterausbildung. Was macht sie im Unterschied zu ihren Kollegen zu Volksschauspielern? Michael Lerchenberg, Schauspieler (Bruder Barnabas) und Intendant der Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel: „Das entscheidet das Volk. Die breite Masse sagt: Die lieben wir. Das ist ein Plebiszit, unabhängig von der Meinung der Feuilletons.“ Dazu gehören allerdings passende Rollen. Gustl Bayrhammer und Ruth Drexel waren gestandene Bühnenschauspieler, doch die große Popularität kam erst mit den Fernsehrollen: Bayrhammer wurde als „Tatort“-Kommissar Veigl und als Meister Eder in der Pumuckl-Serie berühmt, Drexel bleibt als Mamma des „Bullen von Tölz“ in Erinnerung.
Ins Herz spielen
„Letztlich machen sich die Sender, Medien und Theater ihre Stars ja selbst“, sagt Lerchenberg. „Der Schauspieler hat’s am wenigstens in der Hand.“ Mitbringen muss er Direktheit, Spontaneität und Authentizität, „eine Begabung, mit seinem Spiel die Herzen der Menschen zu erreichen“, meint Lerchenberg. „Man muss in gewisser Weise ein Sympathieträger sein. Die Mamma im ,Bullen von Tölz’ konnte ja auch ganz schön biestig sein. Trotzdem hat sie die Herzen berührt, die Zuschauer haben sie geliebt.“
Lerchenberg leitet seit 2001 die Sommerakademie für Bairisches Volksschauspiel. Erfolgreichster Sprössling dieser Talentschmiede für künftige Volksschauspieler ist Maximilian Brückner, auch Stefan Murr, Leopold Hornung, Stefan Betz und Julia Eder haben die Akademie absolviert. „Da wächst Spannendes nach. Die Jungen behaupten sich sehr gut“, sagt Lerchenberg. „Aber es gehört auch Glück dazu, wie sich Karrieren entwickeln.“ So war Claudia Wipplinger mit ihrem komischen Talent in der Drexel-Ära am Volkstheater der absolute Publikumsliebling – von ihr hat man in den letzten Jahren leider kaum mehr was gehört.
Dialekt ist wichtig, aber nicht alles
Man braucht also keine Angst zu haben, dass die bodenständigen Volksschauspieler aussterben. Sie sind allerdings rarer geworden. „In Theaterproduktionen der 50er und 60er Jahre waren selbst kleinste Rollen mit hervorragenden Schauspielern besetzt“, erinnert sich Lerchenberg. „Das wären bei uns alles Hauptdarsteller. Heute muss man mit dem Fernsehen konkurrieren.“ In der Generation zwischen 40 und 60 sind unter den Männern Gerd Anthoff, Jörg Hube, Alexander Duda, Hans Schuler, Andreas Giebel, Gerd Lohmeyer, Johannes Herrschmann und Dieter Fischer („Der Kaiser von Schexing“) die bekanntesten. Bei den Frauen ist die legitime Nachfolgerin von Ruth Drexel eindeutig Monika Baumgartner, die auch selbst inszeniert. Gisela Schneeberger, Ilse Neubauer, Heide Ackermann, Christiane Blumhoff, Christine Neubauer und Gundi Ellert stellen eine stolze Riege.
Man darf den Begriff Volksschauspieler nicht auf den Dialekt reduzieren. Dennoch ist die Beherrschung des Dialekts wichtig – sie schafft Nähe zum Publikum und lokale Verwurzelung. Bei Harald Juhnke hörte man immer den Berliner Zungenschlag, und bei Armin Rohde klingt der Ruhrpott durch. „Der Dialekt ist die Sprache des Bauches und des Herzens“, sagt Lerchenberg, „da fängt’s sofort an zu menscheln.“
Gabriella Lorenz