Mamas Männerpleiten

Kein überragender Film, aber insgesamt eine hohe Wettbewerbs-Qualität: Die 59. Berlinale geht ohne ganz klaren Favoriten in die letzte Runde
von  Abendzeitung

Kein überragender Film, aber insgesamt eine hohe Wettbewerbs-Qualität: Die 59. Berlinale geht ohne ganz klaren Favoriten in die letzte Runde

Streckenweise fühlte man sich ja auf dieser Berlinale wie in einer Besserungsanstalt für Moral und Verständnis für Andersartigkeiten in Religiosität, sozialem und ethnischen Hintergrund. Schuld und Sühne und vor allem Rache, die neue Gewalt gebiert, thematisierten auffallend viele Wettbewerbsbeiträge. Die besten davon finden sich auf der Top-Liste internationaler Kritiker im US-Fachblatt „Screen“. Wie die Jury am Samstagabend entscheiden wird, bleibt aber ein Überraschungsspielchen.

Die Pool-Position der Bärenfavoriten nimmt Rachid Bouchareb, der Franzose algerischer Abstammung, ein mit dem unaufdringlichen Toleranz-Appell „London River“ vor dem Hintergrund der Londoner Terroranschläge von 2005. Zu Recht folgt der US-Beitrag „The Messenger“ von Oren Moverman über einen traumatisierten Irakkriegs-Heimkehrer (Ben Foster), der nun den Todesengel für Army-Angehörige spielen soll. Iranische Filme haben ein Abo auf Festivalpreise, in diesem Jahr „About Elly“ von Asghar Farhadi über junge Upperclass-Teheraner, die während eines Wochenendurlaubes am Meer durch das plötzliche Verschwinden der spontan eingeladenen Erzieherin Elly mit ihren Lebenslügen und Ängsten konfrontiert werden.

Wackere Deutsche und eine hübsche Blondine

Auch die beiden deutschen Beiträge, Hans-Christian Schmids wackeres Justizdrama „Sturm“ um die Gewissensprüfung einer Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag und Maren Ades Beziehungsstudie „Alle anderen“ rankieren vorne. Zum neuen Publikums-Favoriten also könnte Peter Loncraines „My One and Only“ aufsteigen, eine Mixtur aus Kindheitserinnerungen von Hollywoodstar George Hamilton und Autor Charlie Peters, Liebeserklärungen an „lausige“ Mütter, die in Krisensituationen zu guten werden, und einem Roadmovie quer durch die USA und die Gefühlslagen Heranwachsender.

Sommer 1953, New York: Als die verwöhnte Ann (Renée Zellweger) ihren Bandleader-Gatten Dan (Kevin Bacon) in flagranti erwischt, legt sie eine saftige Szene hin, packt und haut ab – im Cadillac mit ihren smarten halbwüchsigen Söhnen George (Logan Leman) und Robbie (Mark Rendall). Von nun an wird sie selbst für alle sorgen, und sei es mit Hilfe neuer Männer. Schließlich hat Ann Klasse und Stil, überall warten einst abgewiesene Verehrer darauf, sie und ihre Jungs versorgen zu dürfen. Denkt sie. Und gibt trotzige Sprüche von sich: „Nie wirkt eine Frau intelligenter auf einen Mann als dann, wenn sie ihm zuhört.“

Aber eine Pleite mit Bankrotteuren, neurotischen Militärs, geisteskranken Fabrikanten folgt der anderen. In Boston hat man noch im Luxushotel logiert, in Pittsburgh schon in einem Arbeiterviertel, in St. Louis bei der verhassten, bigotten Schwester. Der 15-jährige George, aus dessen Sicht der Film erzählt wird, will dort bleiben, weil er einen Lehrer gefunden hat, der ihn, dessen Lieblingsbuch Salingers „Fänger im Roggen“ ist, zum Schreiben ermutigt. Dann landet das Trio doch in einem miesen Motel in Los Angeles und jeder hat seine Lektionen gelernt. Sogar Papa Dan auf Tournee kommt vorbei und macht ein Friedensangebot, aber kurz darauf stirbt er nach einem Herzinfarkt. Nun sind die inzwischen furchtlosen Drei wirklich allein – mit dem Wissen, dass sie zusammengehören. Komme, was wolle. George Hamilton, erzählt Regisseur Loncraine, sei glücklich mit dem Film und seinem Leben.

Angie Dullinger

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