Männer, Tod und Teufel
Christian Stückl und Simone Young retten Hans Pfitzners Musikweihespiel „Palestrina“ als Klerikal-Musical über menschliche Eitelkeit.
Viele schlagen ein Kreuz, wenn nur der Name dieses deutschnationalen Musik-Gottseibeiuns fällt. Nur eine sture Minderheit lässt sich von diesem Kunstweihefestspiel narkotisieren. Die Mehrheit der von Mozart, Puccini oder Strauss gebannten Opernfans fand das Männerstück „Palestrina“ immer langweilig, weil nicht geliebt wird und Frauen nur tot auftreten.
Christian Stückl gelang mit freundlicher Ironie eine Ehrenrettung des widerborstigen Werks. Er ließ sich vom politischen Drumherum kaum irritieren, beobachtete aber die Menschen in ihren Schwächen genau. Palestrinas Sohn Ighino (Christiane Karg) und sein Schüler Silla (Gabriela Scherer) sind von ihrer Jugend gebeugte Spätzeitmenschen wie aus der Mann-Familie. Falk Struckmanns Borromeo sublimiert seine Libido durch Kunstsinn und Fanatismus. Wenn er wie eine verzückte Barockfigur von der Rettung der Musik fantasiert, entsteht gerade wegen seines bellenden Baritons und gespuckter Wortakzente eine völlig stimmige Gestalt.
Orgelmusik aus der Unendlichkeit
Mit Christopher Ventris ist die Titelrolle heldischer als üblich besetzt. Der Akzent des Sängers stört, Lyrisches verwelkt dürr. Aber die Figur umweht ein Hauch von Tragik, weil ein richtiges Mannsbild in seinen besten Jahren von einer Depression heimgesucht wird, die ihm äußerlich nicht anzusehen ist. So steht es in Pfitzners Text. Dass der mitfühlend konservative Palestrina stirbt, ist dort zwar nicht zu lesen, als Vollendung einer Kunst-Passion mit Orgelmusik aus der Unendlichkeit jedoch nur konsequent.
Stückl kniff nicht vor den Engeln, die giftgrün dem Komponisten seine „Missa Papae Marcelli“ vorsingen und sich schnurstracks in den Himmel verziehen, bevor das vom Ausstatter Stefan Hagenauer in schreiendes Magenta gekleidete Konzil der kirchlichen Eitelkeiten anhebt. Eine gute Stunde streitet ein Heer von Chargen über Verfahrensfragen. Nikolaus Bachlers Sänger-Scouts brachten mit Veteranen wie Roland Bracht (Madruscht) und neuen Köpfen (Wolfgang Koch als Luna) eine Besetzung wie in der guten alten Ensemblezeit zusammen.
Im Zentrum intrigierte John Daszaks aasiger Novagerio, dem es gelingt, seinen mephistophelischen Rivalen Morone auszuschalten, den Michael Volle klangvoll und wortmächtig sang. Sein Tod in der Prügelei der Prälaten war mit einem Double allerdings handwerklich unter Niveau inszeniert.
Der verkappte Sinfoniker
Neu ist auch die Verhaftung Palestrinas durch die Inquisition. Sie passt aber zu Pfitzners wüst gesteigerten Kirchenglocken Roms, die von schreienden Dissonanzen bedrohlich getrübt werden und bei der Wiederholung in Orgelgebraus und apokalyptischem Tam-Tam-Lärm ersaufen.
Hier drehte Simone Young das Staatsorchester mächtig auf. Aber die Dirigentin hatte auch ein Ohr für die überwiegend leisen Momente von Pfitzners vierstündigem Adagio lamentoso, das abgeklärte Gesten aus Wagners „Parsifal“ und den „Meistersingern“ mit bitterer Melancholie tränkt.
Die schlürft sich nicht leicht wie Richard Strauss. Nur wer die Musik öfter gehört hat, kann der Verdüsterung und Umfärbung der Themen folgen. Obwohl alles so prächtig klang, verstärkte sich der Eindruck, dass der Un-Dramatiker Pfitzner ein verkappter Sinfoniker war.
Stückls Klerikal-Musical sah munter darüber hinweg. Weil es der Musik ihren Raum ließ, gelang die Ehrenrettung des 1917 im Prinzregententheater uraufgeführten Traditionsstücks. Nur unverbesserliche Regie-Buhs trübten den Erfolg. Wer hätte gedacht, dass Pfitzner Spaß machen kann?
Robert Braunmüller
Wieder am 23., 28. 1., 1. und 8. 2. Karten: Tel. 2185 1920