„Männer erben Titel, Frauen Depressionen“

Die BR-Doku „Standesgemäß“ der Filmemacherin Julia von Heinz erzählt von drei adeligen Frauen und ihren Problemen, den Richtigen zu finden. Ein Einblick in eine skurrile Welt
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Verena von Zerboni di Sposetti auf der Jagd: Nach elitärer Erziehung und Jurastudium ist sie auf der Suche nach sich selbst und arbeitet als Schneiderin am Theater
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Filmemacherin Julia von Heinz, die selbst „ausgeheiratet“ hat.
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Freiin Alexandra von Beaulieu Marconnay (re.) mit ihrer Mutter.
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Gräfin Alexandra von Bredow lebte ein wildes Leben mir rauschenden Bällen. Heute wohnt sie in einer Einzimmer-Wohnung
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Die BR-Doku „Standesgemäß“ der Filmemacherin Julia von Heinz erzählt von drei adeligen Frauen und ihren Problemen, den Richtigen zu finden. Ein Einblick in eine skurrile Welt

Nach den „Adel auf dem Radl“-Kindertouren kommen die „Adelstanzschule“, Bälle, Hochzeiten, Jagden. Junge Blaublütlerinnen haben viele Gelegenheiten, sich ihrem Status gemäß zu verbandeln. Und doch bleiben immer mehr alleine, hat die Regisseurin Julia von Heinz (32) festgestellt – und ein Jahr lang recherchiert, woran das liegt. Das Ergebnis ist der einfühlsame wie kämpferische Dokumentarfilm „Standesgemäß“ (heute in der ARD, 23.45 Uhr) über drei bayerische adelige Single-Frauen und ihr Problem, den Richtigen zu finden – zerrissen zwischen den Erwartungen der Eltern, verinnerlichten Verpflichtungen, eigenen Sehnsüchten und überholt geglaubten Relikten.

Die Doku beginnt mit dem „Ball des europäischen Adels“ in Karlsbad. Hier, so ein Sprecher, „haben die Damen Gelegenheit, ihren Prinzen kennenzulernen“. Alexandra Gräfin von Bredow kommt deshalb schon seit Jahren her. Nach Auf und Abs zwischen rauschenden Festen, enttäuschter Liebe und Depressionen sucht die Ex-Designerin, die davon lebt, Jadeketten herzustellen, einen Mann, der es „gut“ mit ihr meint, „kulturkompatibel und parkettsicher“ ist.

So einen wünschen sich auch Verena von Zerboni di Sposetti, die nach elitärer Erziehung, Jagdschein und Jura-Studium auf der Suche nach sich selbst ist, und Freiin Alexandra von Beaulieu Marconnay, Lehrerin und als Oboistin im Einsatz bei Messen der „Genossenschaft katholischer Edelleute in Bayern“. Seit dem Tod des Vaters ist ihre Beziehung zur traditionstreuen Mutter noch stärker, der Schatten der Ahnen und das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, noch mächtiger.

Was alle drei eint: Wenn sie weiter zum Adel gehören wollen, müssen sie einen adeligen Mann heiraten oder Single bleiben. „Die Männer erben Häuser und Titel, die Frauen Depressionen“, bringt es Julia von Heinz auf den Punkt. „Wenn sie unter Stand heiraten, sind sie raus und leiden darunter, dass sie die Familientradition nicht weitergeben dürfen.“

Die Herren dagegen können nach dem archaischen „Mannesstamm-Prinzip“ ehelichen, wen sie wollen (und sind entsprechend schnell vergeben) – die Frau wird allemal integriert, kriegt den Titel. „Das ist immer noch Adelsgesetz, obwohl der Adel 1918 seine Privilegien verloren hat“, ärgert sich Julia von Heinz. „Diese patriarchische Parallelgesellschaft in unserer Demokratie ist ungerecht. Ein Grund mit, dass ich’s thematisiert habe.“

Ein universelles Thema, findet sie: „Auch viele nichtadelige Frauen wollen einen Mann, der zu ihrem sozialen Status passt, den sie anhimmeln können.“ Eine Ärztin heirate selten einen Krankenpfleger. Dabei könnte eventuell gerade er ihr den Rücken freihalten. Ihr Credo: „Wer immer aufschaut, lässt das Glück nicht zu, bleibt eher allein.“ Und so nützt sie ihren Film auch als Plädoyer, „Frauen von Zwängen und Ansprüchen zu befreien“.

Sie selbst hat’s getan, hat „ausgeheiratet“, wie es auf Adelsdeutsch heißt. Zwar hat sie ihren Namen behalten, aber die beiden Kinder (4 und 5) tragen den ihres bürgerlichen Mannes. „Damit bin ich aus dem Adel raus. Aber noch fataler wäre es gewesen, mein Mann hätte meinen Namen angenommen. Das ist zwar rückständig, aber verinnerlicht.“

Jetzt zumindest noch. „Wir sind die dritte Generation nach dem Kaiserreich“, sagt die engagierte Filmemacherin. „Zwei Generationen weiter wird alles verwässert sein. Da weiß bei einem Grafen niemand mehr, ob der Titel echt, angeheiratet oder gekauft ist.“

Die Glanzzeiten sind vorbei. Auch wenn es Horst von Zerboni di Sposetti noch nicht so wahrhaben will. Dass Tochter Verena ihre Karriere als Anwältin aufgegeben hat und jetzt „ein kleines Schneiderlein“ an einem Nürnberger Theater ist, nennt er eine „einsame und mutige Entscheidung. Zu meiner Zeit wäre das ein Enterbungsgrund gewesen.“

Renate Schramm

„Standesgemäß“ zeigt das Erste am 30. Dezember um 23.45 Uhr

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