Lustvolle Breitenwirkung

Martin Kusej, der neue Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, über das Verhältnis zu den Kammerspielen, sein Ankommen in München, die Ensemble-Wahl und seine Schnitzler-Inszenierung
von  Volker Isfort

Martin Kušej, der neue Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, über das Verhältnis zu den Kammerspielen, sein Ankommen in München, die Ensemble-Wahl und seine Schnitzler-Inszenierung

Wenn Martin Kušej Oktoberfeststimmung erleben will, muss er zu den Proben von „Kasimir und Karoline” gehen. Denn auf die Wiesn schafft es der neue Intendant des Residenztheaters nicht. Elf Stücke müssen zeitgleich vorbereitet werden, der Intendant selbst eröffnet mit seiner Inszenierung von Schnitzlers „Das weite Land” am 6. Oktober die neue Saison. Dann werden mit Eva Mattes und Tobias Moretti schon zwei der vielen neuen Stars zu sehen sein, die Kusej nach München geholt hat.

AZ: Herr Kušej, das Residenztheater eröffnet mit vier Premieren in vier Tagen, davon zwei Uraufführungen. Derzeit müssen elf Stücke gleichzeitig geprobt werden. Wollten Sie testen, wie stark man ein Haus belasten kann?
Ich habe lange beobachtet, dass neue Intendanten immer irrsinnig Gas geben und zu viel produzieren. Ich dachte, wenn ich mal Intendant wäre, ginge ich das entspannter an. Und jetzt bin ich mittendrin im selben Schlamassel.

Es ging ja auch nicht anders, Sie haben ja kein altes Stück übernommen.
Klar, es gibt diesen Sachzwang von null ein neues Repertoire aufzubauen. Von daher ist das Haus gefordert und alle arbeiten am Anschlag. Aber was toll ist: die Stimmung ist so gut. Das gibt einem dann auch wieder Kraft, durchzuhalten, weil am Anfang ist es wirklich grenzwertig. Es ist einfach die pure Quantität an Dingen, die zu tun sind.

Befürchten Sie nicht, dass manche Stücke ihre Qualität unter diesem Zeitdruck nicht voll entwickeln können?
Nein, letztendlich sind das alles Profis.

Sie haben für großen Aufruhr gesorgt, als Sie verkündeten, mit einem fast neuen Ensemble zu beginnen. Gab es Abokündigngen?
Es gab Kündigungen in einem ganz normalen Ausmaß, und im selben Ausmaß viele neue Abonnenten. Aber es stimmt schon, nach der ersten Pressekonferenz waren manche Leute verschreckt. Nur um das Thema abzuschließen: Diese Wechsel sind ein ganz normaler Vorgang. Ich habe auch versucht, mit jedem Betroffenen ein persönliches Gespräch zu führen, es gibt auch inhumanere Arten, das abzuwickeln.

Münchner Theatergänger haben nicht verstanden, warum Sie beispielsweise Rolf Boysen nicht länger wollten, auch wenn er 91 Jahre alt ist.
Das ist auch eines dieser blöden Gerüchte. Herr Boysen wird mit uns weiter zusammenarbeiten. Ich wäre doch ein Volltrottel, wenn ich so einen wunderbaren Schauspieler nicht weiter an das Haus binden würde. Und so halte ich es auch mit anderen, die hier gespielt haben.

Dieses Theater hat sehr gut damit gelebt, ein ästhetischer Gegenentwurf zu den „moderneren” Kammerspielen zu sein. Dieser Gegensatz wird unter Ihnen nicht mehr so stark bestehen.
Ich sehe auch keinen zwingenden Grund dafür. Natürlich brauchen wir ein eigenes Profil. Aber Johan Simons und ich haben beschlossen, eher miteinander zu arbeiten als gegeneinander. Dadurch erzielt man auch mehr Breitenwirkung hier in der Stadt. Das halte ich für interessanter, als weiter auf der langweiligen Konkurrenzsituation herumzureiten.

Wird das Resi weiter die Bühne für Klassiker bleiben?
Ich fühle mich diesem Gedanken verpflichtet, vielleicht nicht auf die Art, wie Dieter Dorn das gemacht hat. Ich bin ja auch manchmal entsetzt, wie die klassische Bildung verschwindet hinter Wikipedia oder schnellen Nachschlagewerken, die auch nur Stichpunkte geben. Die Pflege von Bildung, von klassischer Literatur, die ja längst bis ins 20. Jahrhundert hineinreicht, die finde ich wichtig.

Sie haben in München schon einige Male inszeniert. Ist das Publikum anders als in Wien?
Ich glaube, das sollte man nicht vergleichen. Ich habe gelernt, dass man als Intendant auch eine andere Funktion hat, nämlich zu vermitteln, warum es die subventionierte Kunst im Theater geben muss. Ich stelle mich jetzt einmal vorbehaltlos und mit Begeisterung der Aufgabe, hier in Bayern und München. Hier gibt es auch ein spannendes Netzwerk von Kulturschaffenden, Leute, die darauf gewartet haben, dass am Residenztheater wieder was Neues passiert. Natürlich wird es Irritation, Konfrontation und andere Aufregungen geben, aber nur das macht lebendiges Theater aus.

Sie haben gesagt, dass Ihre festen Ensemblemitglieder an keinem anderen Haus Gastrollen übernehmen dürfen.
Das ist der Grundgedanke: Ich möchte ein homogenes und unverwechselbares Ensemble aufbauen. Ich tue mir aber schwer, Verbote auszusprechen. Ich habe meine Haltung allen nahe gelegt und bin auf ein positives Feedback gestoßen. Das Ensemble ist das Herzstück des Theaters, das ist mein Baby, auf das ich so stolz bin.

Zum Auftakt präsentieren Sie sich als Regisseur mit Schnitzlers „Das weite Land”.
Ich habe in den letzten Jahren eine große Lust entdeckt, mich mit diesen psychologischen und – wenn man so will – handlungsarmen Stücken zu beschäftigen. Früher habe ich Tschechow, Ibsen und Schnitzler abgelehnt, die ganze psychologisch-realistische Ebene. Ich habe dann alles andere inszeniert – von William Shakespeare bis hin zu Heimatstücken – auch Opern. Aber jetzt macht mir Schnitzler Spaß.

Sie verstehen ihn besser?
Wenn Sie so wollen, fällt man so mit 50 Jahren in die perfekte Zielgruppe von schnitzlerschen, beziehungsgeschädigten Menschen: Scheidung, Ehekrise, Affären – das, was wir alle kennen.

Sie werden sich das Stück bei der Premiere anschauen?
Nein, das tue ich nicht. Das halte ich nicht aus. Angesichts der ganzen Pannen, die in so einer Premiere passieren, würde ich in den Stuhl beißen. Deswegen ist es besser, wenn ich woanders ein Glas Rotwein trinke.

Schnitzler: „Das weite Land” Premiere: Do, 6.10. Dann: 7., 9., 15., 16., 29. Oktober, 1. und 5. November, 19 Uhr, Tel. 2185 1940

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