Lustvoll gegen den Strich
Gasteig: Dirigent Sir John Eliot Gardiner mit Beethoven
Auch Weltklasse-Musikanten kommen gelegentlich ins Straucheln. Beim Beethoven-Abend im Gasteig quälte Sir John Eliot Gardiner das London Symphony Orchestra mit derart raschen Tempi, dass nur noch Näherungswerte möglich waren. So im Allegro-Teil der Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ und im Final-Satz der achten Symphonie, dessen Achtel-Triolen man nur erahnen konnte.
Gardiner sollte eigentlich wissen, dass jedes Tempo falsch ist, das den Ausführenden nicht mehr gestattet, die erforderliche Notenarbeit wenigstens halbwegs seriös zu erledigen. Von diesen Irritationen abgesehen, besaß der Abend einigen Unterhaltungswert. Lustvoll bürstete Gardiner Beethoven gegen den Strich, ob in der F-Dur-Symphonie oder in der nach der Pause burschikos exekutierten „Eroica“. Er hatte es nicht nur eilig, sondern überraschte auch immer wieder durch geschmäcklerische Effekte.
Deren Rechtfertigung mochten wohlwollende Zuhörer womöglich darin gefunden haben, dass hier ein Dirigent nach einem Weg suchte, wie man der eher ruppigen als romantisch ausgeglichenen Persönlichkeit Beethovens vielleicht doch gerecht werden könnte.
Sei’s drum: Gardiners Radikalkur verweigerte mit energischem Nachdruck jeglichen glatten, symphonischen Pomp. Die Pauke durfte nach Herzenslust Krach machen. Die Streicher beschränkten sich auf ein fahles Non-Vibrato. Nur die Bläser zeigten sich störrisch. Sie blieben auch dort dezent, wo sie etwas zu sagen gehabt hätten.
Ein Konzert, das Denkanstöße gab, dessen Eigenwilligkeiten aber dadurch getrübt wurden, dass Londons Symphoniker nur mit halbem Herzen dabei zu sein schienen. Als ob sie signalisieren wollten, dass die Beethoven-Auffassung ihres Dirigenten so gar nicht nach ihrem Geschmack war.
In einem Jahr, am 14. Februar, folgt das nächste Spektakel. Dann führt uns Sir John Eliot Gardiner vor, wie er sich Beethovens Fünfte vorstellt. Die Pianistin Maria Joao Pires wird dazu das C-moll-Konzert spielen. Eines ist schon jetzt sicher: Langweilig wird’s sicher nicht. Volker Boser