Lohn der Überlebensangst
Eltern, die Schuld am Leid ihrer Kinder tragen, der tägliche Kampf gegen die Behinderung, um mehr Lebensqualität. Die WDR-Dokumentation „Sekunden, die mein Leben verändern”, zeigt zwei Familien mit Kindern, die als Kleinkinder ins Wasser fielen und schwerste gesundheitliche Schäden davongetragen haben.
Um die 20 Mal wurde der preisgekrönte Film in verschiedenen ARD-Programmen wiederholt, schätzen die Autoren, der Münchner Daniel Targownik und seine Frau Paula. Ein Kassenschlager für die Filmemacher? „Wir haben zu zweit 18000 Euro für über vier Monate Arbeit und Schnitt bekommen”, bemerkt Targownik knapp. „Wiederholungshonorare gab’s nicht.” Andere Dokumentarfilmer begnügen sich mit noch niedrigeren Vergütungen. Zum Vergleich: Jede einzelne ihrer vielen Talkshow-Minuten lässt sich die ARD bis zu 4000 Euro kosten. Und dieser Talk-Überfluss findet noch genau auf den Sendeplätzen statt, wo früher auch Dokumentarfilme gezeigt wurden.
343 Dokumentarfilm-Regisseure haben sich deswegen jetzt zusammengeschlossen und wollen erreichen, dass ihre Bezahlung zumindest nicht weiter gedrückt wird.
Mit dabei ist Daniela Agostini. Die 43-Jährige machte sich mit „Anklage Mord – ein Freund vor Gericht” einen Namen. Die BR-Produktion berichtet über den Münchner Böhringer-Mord, erzählt aus der Perspektive der Freundin des später verurteilten Böhringer-Neffen Bence Todt die Suche nach dem Schuldigen.
„Ich habe an dem Film mehr als eineinhalb Jahre gearbeitet”, berichtet Agostini. Sie interviewte den Freundeskreis Todts, den Staatsanwalt, die Verteidiger. Am Ende hatte sie 90 Stunden Filmmaterial gesammelt. Sämtliche Interviews wurden abgeschrieben und ausgewertet. „Allein das Transskribieren und der Schnitt dauerten Monate”, erinnert sich Agostini. Das Honorar: Um die 25000 Euro.
Agostini hat keine Kinder – „das könnte ich mir mit meiner finanziellen Situation auch nicht vorstellen”, sagt sie. Seit zehn Jahren arbeite sie als Dokumentarfilmerin, doch eine Tariferhöhung wie in anderen Branchen habe es nicht gegeben. „Und dabei komme ich auf weit mehr als eine 40-Stunden-Woche. Oft stehe ich um sechs Uhr auf und arbeite bis abends, weil ich’s sonst nicht schaffe.”
Tiefgründige Dokumentationen waren früher eines der Markenzeichen der ARD. Heute ist für investigatives Fernsehen nicht mehr viel Geld da. Da mag Kulturstaatsminister Bernd Neumann lamentieren, es sei „inakzeptabel”, dass Dokumentarfilme zu wenig gepflegt würden – in den Sendern wird mehr auf Unterhaltung oder Talkshows gesetzt. Entsprechend harsch ist die Politik gegenüber Produktionsfirmen und Autoren. Recherchiert ein Autor ein paar Wochen lang, ohne dass sein Thema am Ende von einer Redaktion gekauft wird, geht er leer aus. Recherche-Honorare sind die absolute Ausnahme – selbst wenn eine Redaktion ausdrücklich darum bittet, dass sich ein Autor eines Themas annimmt. Einer internen Umfrage zufolge kommen Regisseure zum Teil auf Brutto-Stundenlöhne um die zehn Euro. Auf dem Dokumentarfilm-Festival, das bis zum nächsten Mittwoch reicht, haben die Dokumentarfilm-Autoren deswegen mit einem Feuerwehrauto auf ihre Situation aufmerksam gemacht.
Effektiver als plakatives Jammern wäre wohl eine schlagkräftige Interessensvertretung gegenüber den Sendern. Mancher im Verband träumt von einer Art Gewerkschaft der Dokumentarfilmer, die verbindliche Mindest-Honorare aushandelt.
Vorerst scheitert dieser Traum daran, dass sich zuwenige Regisseure in einem Verband organisieren. Eitelkeiten mögen dabei eine Rolle spielen, die Angst, es sich mit den Redaktionen durch ein zu selbstbewusstes Auftreten zu verderben – aber auch finanzielle Erwägungen. „Ich habe zwei Kinder, lebe in München”, sagt ein Regisseur. „Ob ich auf Dauer die 25 Euro Beitrag im Monat für den Verband aufbringen will, werde ich mir sehr genau überlegen.”