Lockerungen in der Kultur: Mehr Freiheit und noch mehr Fragen
München - Die ungeachtet weiter steigender Corona-Zahlen stabile Lage auf Bayerns Intensivstationen soll nach Ansicht von Ministerpräsident Markus Söder zu deutlichen Lockerungen bei den Bekämpfungsmaßnahmen führen. Einschränkungen seien dann richtig, wenn das Gesundheitssystem extrem belastet werde. "Dies ist derzeit aber bei Omikron nicht der Fall."
Die am Montag bei einer Videoschalte des CSU-Vorstands gemachten Vorschläge werden aller Wahrscheinlichkeit nach am Dienstag bei der Kabinettssitzung beschlossen. Bei Kulturveranstaltungen soll erneut eine Auslastung von bis zu 75 Prozent möglich werden, aktuell sind es höchstens 50 Prozent. Die 2G-plus-Regel und FFP2-Maskenpflicht bleiben aufrecht, ab wann die neue Regelung gilt, steht noch nicht fest.
Praxisfremde Entscheidung am grünen Tisch: Wie soll das so schnell umgesetzt werden?
Aber die Umsetzung der - wie immer - ohne größeren Vorlauf beschlossenen Maßnahmen ist nicht so leicht, wie die Politik glaubt. Die Vorstellung, dass sich ein mit einem Hygienekonzept entwickelter Saalplan ohne weiteres ändern lässt, erweist sich bei näherem Hinsehen als praxisfremde Entscheidung am grünen Tisch, gefällt von Politikern, die sich auch nach zwei Jahren noch immer nicht für die konkreten Probleme bei der Umsetzung interessieren.
Einfache Lösungen gibt es nur in Sälen ohne feste Bestuhlung - wie etwa beim Literaturhaus. "Wir sind flexibel und können jederzeit darauf reagieren", sagt Marion Bösker-von Paucker. In den derzeit mit 150 Plätzen luftig bestuhlten Saal könnten nun 75 weitere Stühle geschoben werden - bei gleichbleibendem Abstand zwischen den Plätzen.
So könnten beispielsweise 75 weitere Besucher die derzeit ausverkaufte Lesung des aktuellen Literatur-Nobelpreisträgers Abdulrazak Gurnah am 15. März live verfolgen (die Lesungen werden aber auch gestreamt).
Theater und Konzertsäle mit fester Bestuhlung sind längst nicht so flexibel. Verkompliziert wird die Planung durch das an fast allen Häusern jenseits der Popkultur üblich Abonnement-System. Das betrifft alle staatlichen und städtischen Häuser wie das Residenztheater, die Bayerischen Staatsoper, aber auch Orchester wie die Münchner Philharmoniker.
Es dürfte kaum funktionieren, ganz einfach die freien Plätze anzubieten
Einige von ihnen haben das Abo derzeit aufgehoben und durch ein Vorkaufsrecht ersetzt, die Mehrzahl versucht die treuesten Besucher zuletzt entsprechend den geltenden Regeln im Schachbrettmuster zu verteilen. Die Karten für Februar und März sind größtenteils verkauft.
Die Häuser stehen nun vor der Alternative, die Kartenkäufe bei maximaler Verärgerung des ohnehin zögernden Publikums rückabzuwickeln. Es dürfte kaum funktionieren, ganz einfach die freien Plätze anzubieten, weil Karten in der Regel paarweise verkauft werden und zuletzt ein Platz zwischen jeweils zwei kauften Sitzen freiblieb.
Andreas Schessl: "Das kurzfristige Handeln macht uns das Leben wirklich schwer"
Ohnehin dürfte es das Sicherheitsgefühl weiter Teile des Publikums nicht steigern, sollte nun ein Großteil der bislang freien Plätze verkauft werden und wildfremde Menschen neben Leuten aus dem gleichen Haushalt zu sitzen kommen. Auch wenn private Veranstalter immer wieder davon sprechen, dass bei 75 Prozent Gewinne möglich wären: Worin besteht - jenseits der Symbolpolitik - eigentlich der Unterschied zwischen 75 Prozent und einer vollen Auslastung, die bei vielen Vorstellungen zwischen 80 und 90 Prozent liegt?

Die - größtenteils nicht zitierfähige - Freude über Söders Ankündigung hält sich daher in Grenzen. Die Bayrische Staatsoper wird wegen der komplizierten Abläufe erst ab Anfang März ihre Platzkapazität erhöhen. "Das kurzfristige Handeln macht uns das Leben wirklich schwer", sagt auch Andreas Schessl, der Inhaber von Münchenmusik. Der Kartenumtausch sei "unglaublich mühselig", aber er habe ihn auf sich genommen, um regelmäßig Konzerte stattfinden zu lassen. "Wir haben jedes Mal tausende Anrufe, Mails und Briefe samt Rückabwicklungen. Und unser gesamtes Team arbeitet nun teils auch am Wochenende wirklich sehr hart, um überhaupt noch reagieren zu können."

Schessl begrüßt die Erhöhung der Kapazitäten, verbindet sie aber auch mit einer Forderung: "Wenn nun so rasch geöffnet wird, aber viele Monate und auch jetzt noch verkündet wird, dass man ja nicht in Konzerte gehen soll, wurde natürlich auch nichts verkauft - das hat uns nachhaltig geschädigt." Eine Auslastung von 75 Prozent macht für den Konzertveranstalter nur Sinn, wenn sich nun auch die Kommunikation der Politik und der Virologen ändern würde, die bisher - trotz vorliegender Studien und positiver Erfahrungen - vom Besuch von Veranstaltungen eher abgeraten haben.
Lustspielhaus: Vielleicht Erhöhung auf 160 Plätze
"Daher ist die Ankündigung psychologisch ein gutes Signal", sagt Till Hofmann über die neue Auslastungsmöglichkeit. In seinem seit Samstag wieder geöffneten Lustspielhaus können derzeit rund 120 Gäste dem aktuellen Programm folgen, Hofmann will nun vielleicht auf 160 Plätze erhöhen.
Wichtiger als auch die letzte mögliche Karte zu verkaufen ist ihm, das Vertrauen weiter auszubauen und den Gästen ein sicheres Gefühl zu geben. Denn nicht jeder fühlt sich wohl, wenn es in den Theatern, Konzerthäusern und Kleinkunstbühnen schon wieder genau so eng zugeht wie zu der Zeit, als noch niemand von Corona gehört hatte.