Lila Esel im „Blauen Land“

Das erweiterte Franz Marc Museum in Kochel ist ein Glücksfall für Kunst- und Naturbegeisterte. Am Sonntag wird der Bau eröffnet: Eine neuer funkelnder Edelstein in der Kunst-Perlenkette des Voralpenlandes
von  Abendzeitung

KOCHEL - Das erweiterte Franz Marc Museum in Kochel ist ein Glücksfall für Kunst- und Naturbegeisterte. Am Sonntag wird der Bau eröffnet: Eine neuer funkelnder Edelstein in der Kunst-Perlenkette des Voralpenlandes

Der berühmte „Turm der Blauen Pferde“ ist zwar noch nicht wiederaufgetaucht. Aber die Zeichnung, welche die 90-jährige Sprecherin der Stifter-Erbengemeinschaft Charlotte Mittelsten Scheid dem Franz Marc Museum in Kochel am See zur Neueröffnung schenkt, zeigt eine Entwurfskizze für das seit der Nazi-Zeit verschollene Meisterwerk: Die kleinformatige Bleistiftskizze von 1912/1913 umreißt den Bildaufbau mit den vier Pferden, den man auch als Postkartenfassung Marcs kennt. Das kostbare Blatt wurde erst vor einigen Tagen erworben, eine schöne persönliche Geste, die den privaten Charakter dieses Museums unterstreicht.

Am Sonntag wird das neue Marc Museum fürs Publikum eröffnet – und damit prangt ein funkelnder Edelstein in der Kunst-Perlenkette am Alpenrand. Zu sehen sind nicht nur Gemälde und Papierarbeiten Marcs, sondern 180 Kunstwerke des „Blauen Reiters“, des Expressionismus und der deutschen Nachkriegs-Abstraktion. Sie stammen überwiegend vom Münchner Nachkriegs-Galeristen- und Sammlerehepaar Etta und Otto Stangl, (Otto Stangl war 1986 Mitbegründer des Kocheler Museums, seine Frau Etta die Schwester Charlotte Mittelsten Scheids), deren Kollektion dauerhaft in Kochel präsentiert wird. Eine Zeit lang waren die Bilder der Stangl-Stiftung in den Staatsgemäldesammlungen zu sehen, doch die Erben sahen sie nicht angemessen behandelt – und zogen sie ab.

Immer wieder ein Refugium

Franz Marc war der Gegend um den Kochelsee eng verbunden: Der frühvollendete Maler, der im 1. Weltkrieg fiel, kannte und liebte die Landschaft seit Kindheitstagen, er zog sich während seines kurzen Lebens (1880 bis 1916) immer wieder hierher zurück zum Malen. Allerdings nicht nach Kochel, sondern ins benachbarte Sindelsdorf, später nach Ried. Man kann die Begeisterung, die dieses „Blaue Land“ auf den jungen Maler auslöste, hoch über dem Kochelsee sogar bei strömendem Regen nachvollziehen.

Nicht zuletzt, weil der Erweiterungsbau des Museums der jungen Zürcher Architekten Diethelm & Spillmann die Schönheit der Kunst und der Natur zur Geltung bringt: In der grandiosen Lage mit Blick auf den Heimgarten ist das Marc Museum ein Glücksfall für Kunst- und Naturbegeisterte – in dem auch Kinder auf ihre Kosten kommen. Und gut essen mit Seeblick kann man auch noch: Der Fischmeister aus Ambach hat die Museumsgastronomie übernommen.

Eleganz mit dunklem Holz und hellem Stein

Für 6,5 Millionen Euro entstand ein dezenter, aber nicht unscheinbarer würfelförmiger Erweiterungsbau, der sich über einen Laubengang an die alte Villa anschließt und die Ausstellungsfläche auf 700 Quadratmeter erweitert. Im Inneren herrscht Eleganz mit dunklem Holz und hellem Stein – nur die runden Lampen der großen Räume wirken überdimensioniert. Die Wände der Kabinette in Türkis, Rot, Orange und Blau bringen die Kunst zum Leuchten. Vier große Fenster öffnen den verschlossenen Bau aus hellem Muschelkalk; der architektonische Höhepunkt ist das große Panoramafenster, vor dem sich die fantastische Kulisse mit See und Berg auftut.

Ein gelungenes Gehäuse für die Kunst, hier lohnt der Blick nach draußen wie nach drinnen. Die künstlerische Direktorin Cathrin Klingsöhr-Leroy hat die Werke klug und schön kombiniert. Der große Raum im Erdgeschoss ist Paul Klee gewidmet; Fülle und Qualität der Werke hier ist überraschend, die Tonlage mal komisch-grotesk, mal traurig-betörend, es blühen die „Höhlenblüten“ (1926) und „Der Neuland-Seefahrer tritt die Reise an“ (1917).

Dreh- und Angelpunkt der Präsentation aber bleibt Franz Marc, darum sind ihm die Haupträume im ersten Stock, die Bel Etage des Museums, gewidmet. Da äsen nicht nur Marcs „Rote Rehe“ (1911), sondern man findet auch frühe Bilder wie „Zwei Frauen am Berg“ (1906), die Marcs Entwicklung aufzeigen. Und es ergeben sich Bezüge zu Zeitgenossen und Weggefährten: Else Lasker-Schülers Prinzen Jussuf (1913), August Mackes „Große Promenade: Leute“ (1914), eine Improvisation von Wassily Kandinsky (1911), Emil Noldes „Fetische“ (1913) und Erich Heckels „Blankenese“ (1910). Im zweiten Geschoss setzt sich der Weg der Abstraktion fort mit Großformatigem und Starkfarbigem von Rupprecht Geiger und Serge Poliakoff sowie Düsterem von Fritz Winter.

So ist das Haus nicht nur ein gelungenes Museum, sondern auch ein seltener Fall von uneitlem Mäzenatentum, fast ohne Zuschüsse der öffentlichen Hand. Das Marc Museum wird zu 20 Prozent von der Franz-Marc-Stiftung und zu 80 Prozent von der Stiftung Etta und Otto Stangl getragen, beide Stiftungen finanzierten den Neubau und tragen die laufenden Kosten für Personal und eine Sonderausstellung im Jahr. Nur das Grundstück in bester Lage am Rand von Kochel bekam man von der Gemeinde für 99 Jahre auf Erbpacht überlassen – der erhoffte Tourismus-Schub dürfte die Gabe lohnen. Und wer weiß: Vielleicht taucht ja der „Turm der Blauen Pferde“ eines Tages im Kochelsee auf.

Roberta De Righi

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.