Liebeswahn an der Kletterwand

„Tristan und Isolde” ist in Augsburg eine musikalische Sensation – mit fader Bühne
von  Christa Sigg

Video Killed the Radio Star” säuselten die Synthie-Pop-Sirenen von The Buggles. Bedeutungsschwanger ging der Musiksender MTV 1981 mit diesem Clip an den Start. Wie Schwammerl haben sich die bewegten Bilder längst auch in der Theaterlandschaft breit gemacht. Und selbst Regiekompetenzen wie Rosamund Gilmore setzen auf Videos – um dabei das Konzept aus den Augen zu verlieren? In der Augsburger Neuproduktion von „Tristan und Isolde” entpuppten sich die Filme des Theaterfotografen A.T. Schaefer jedenfalls als Stimmungs-Killerpilze. Nur gut, dass die Macht der Musik für ganz andere, sehr viel tiefere Eindrücke sorgte.

Denn was aus dem Graben strömte, war eine Wucht: dynamisch, kraftvoll, genauso feinsinnig und klangschön bis in die dräuenden Bässe. Hochkonzentriert ruderte das Philharmonische Orchester in der Liga versiertester Wagner-Großgaleeren. Wie ein Magier beschwor Jung-GMD Dirk Kaftan seine Crew, animierte, balancierte äußerst klug und hielt die Spannung vom grandiosen Vorspiel bis zum erlösenden Liebestod.

Das trieb vor allem das hohe Paar weit hinauf in Gipfelregionen. Christiane Libor ging gleich zu Beginn an ihre Grenzen, faszinierte als wutglühende Isolde, wund bis ins Mark, entschlossen, dem drohenden Wahn ein jähes Ende zu setzen. Sie fand im zweiten Aufzug zu anrührend zarten Tönen, die im Pianissimo noch bis in den letzten Theaterwinkel trugen. Am Ende fehlte aber dann doch die Kraft für den ganz großen, noch einmal alles beschwörenden Ausbruch, obgleich Kaftan seine Musiker behutsam dämpfte.

Mag sein, dass der Bayreuth-gestählte Gerhard Siegel da im Vorteil war, eine Spur besser haushalten konnt mit seinem durchaus üppigen Material. Dennoch erstaunt es, wenn sich ein Tristan nach stundenlangem Einsatz dem Tod noch wie im Veitstanz in die Arme werfen kann, einen Kraftakt nach dem anderen aus der hellen Kehle katapultiert und doch Herr der Nuancen bleibt.
Dabei hatte Rosamund Gilmore ihren Hauptakteuren einiges abverlangt. „O sink hernieder, Nacht der Liebe” mussten die beiden liegend aneinander gekauert nach hinten singen. Übrigens auf einem zur Bühnenrampe stilisierten Schiffsdeck, das langsam in die Höhe fuhr und zur Kletterwand mutierte (Bühne: Carl Friedrich Oberle).

Ansonsten blieb Gilmores nebulös zurückhaltende Regie hinter sämtlichen Möglichkeiten. Der Marke des blassen Guido Jentjens schaute in seiner historisierenden Fantasieuniform (Kostüme: Monika Staykova) vor allem dekorativ in die Landschaft, und auch Brangäne (Kerstin Descher) und Kurwenal (Stephen Owen) wussten mit der Zeit kaum noch etwas mit sich anzufangen. Womöglich sollten eher das Wassergeplätscher, die zwischendurch bedrohlich dunklen Wolken oder ein fetter Ozeanriese im Hintergrund für vi(deo)suelle Erhellung sorgen? Fehlanzeige.

Doch es lohnt sich trotzdem, nach Augsburg zu fahren. Die Musik entschädigt für alles. Selbst die unglücklichen Killerpilze.

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