Liebespein mit Hm-ta-ta
Verdiente Buhs für den Regisseur, die Musik ein greller Kraftakt: Paolo Carignanis erste Nationaltheater-Premiere »Nabucco«
Eine halbe Stunde vor Schluss war es soweit. Da versammelten sich die in Babylon gefangenen Hebräer und stimmten den wohl berühmtesten Chor der Opernliteratur an: „Va pensiero“ – die Zuhörer im Nationaltheater durften sich endlich zurücklehnen und genießen. Hätten einige mitgesungen, was wäre schon dabei gewesen. Schließlich ist der Gefangenenchor aus Verdis „Nabucco“ nicht nur Italiens heimliche Nationalhymne.
Aber auch sonst bietet die dritte Oper des jungen Verdi eine Menge herrlichster Musik, vor allem in den Ensemble-Szenen und Chören, die sich immer wieder in die Arien einmischen. Der von Andrés Máspero einstudierte Staatsopernchor präsentierte sich in Top-Form, hatte es aber auch leicht, weil sich die Regie darauf beschränkte, die Sänger brav auf die Bühne zu stellen und sie dann ihrem Schicksal zu überlassen.
Yannis Kokkos, für Inszenierung und Ausstattung verantwortlich, hatte sich die Buhs am Ende redlich verdient. Seine Regie ist nicht nur konservativ, sie ist schlicht nicht vorhanden. Mag sein, dass ihn das wirre Libretto von Temistocle Solera, das sich immer wieder zwischen den kollektiven Freiheitssehnsüchten der Hebräer und der individuellen Liebespein der handelnden Personen verzettelt, nicht sonderlich interessiert. Doch gar so schlimm hätte es nicht kommen dürfen.
Dunkle Gestalten schlurften auf nachtschwarzer Bühne einher, so bedächtig, als wäre ihnen vor siebzig Jahren beigebracht worden, wie sie sich zu bewegen haben. Man muss kein Anhänger moderner Opernregie sein, um derlei Antiquitäten öde zu finden. Allenfalls den Sängern kam die Freiheit, die ihnen die Inszenierung bot, entgegen. Ohne den Zwang zu schauspielerischem Aktionismus konnten sie sich auf die Musik konzentrieren.
In der Titelpartie verströmte Paolo Gavanelli, wie man es von ihm kennt, balsamischen Wohlklang. Das passte nicht immer, denn schließlich ist Nabucco zuerst böse, dann trifft ihn ein göttlicher Blitz und er wird wahnsinnig. Erst am Ende darf er versöhnliche Töne anstimmen.
Nabuccos Tochter Fenena hat nur eine einzige Arie zu singen. Daniela Sindram bewältigte sie mit inniger Empfindung. Für den Tenor ist Verdi leider gar nichts eingefallen – schade, denn Aleksandrs Antonenko machte als Ismaele Appetit auf mehr. Giacomo Prestia sang den Hohepriester Zaccaria so, wie es sich gehört, mit samtener Bass-Stimme, makellos.
Die interessanteste, aber wohl auch schwierigste Rolle ist zweifellos Abigaille, von der sich nach zwanzig stürmischen Bühnenminuten herausstellt, dass sie nicht Fenenas ältere Schwester, sondern nur die Tochter einer Sklavin ist. Grund genug für sie, richtig sauer zu werden. Maria Guleghina legte sich ins Zeug, doch das half wenig. Trotz vollem Mut zum Risiko wurde sie den vielen virtuosen Facetten der Partie nur mit Abstrichen gerecht. Bisweilen sang sie ziemlich unsauber. Am Ende wurde sie ungalant abgestraft.
Für den Dirigenten Paolo Carignani war dieser „Nabucco“ vor allem ein Kraftakt. Die Musik „schwitzte“, klang grell und unbedeutend. Zum leidvollen Bühnengeschehen steuerte das präzise Staatsorchester banales Hm-ta-ta bei. Das war zu wenig, zumal sich auch Carignanis Tempi immer in den seichten Gewässern larmoyanter Langeweile tummelten. Wer wirklich wissen will, wie aufregend „Nabucco“ sein kann, sollte sich die CD mit Riccardo Muti anhören. Volker Boser
Nationaltheater, 31.Jan, 3., 6.,
9. Feb., Tel. 21851920