Liebe und Hinterhalt
Keine Angst vor Klassik: Die Übertragung von Puccinis „Tosca“ als „Oper für alle“ aus dem Nationaltheater auf den Max-Joseph-Platz wird heuer von einem Moderator präsentiert
Am Samstag abend haben Fans von Freiluftevents die Qual der Wahl: Zeitgleich zu Deutschlands Kampf um den dritten Platz wird aus dem Nationaltheater Puccinis hochdramatische „Tosca“ als „Oper für alle“ übertragen. Heuer führt der Pianist und Arte-Moderator Andreas Kern durch den Abend.
AZ: Herr Kern, reicht es nicht, wenn Puccinis „Tosca“ für sich selbst spricht?
ANDREAS KERN: Es wird immer Leute geben, die so etwas nicht brauchen. Andere sind eigentlich neugierig auf Klassik, aber es fehlt ihnen der Zugang. Ich versuche, ihnen das zu erleichtern, indem ich die Kunst menschlicher mache und erkläre, dass die Gefühle in „Tosca“ brandaktuell sind.
Wie fangen Sie das an?
Ich versuche zuerst einmal, die Handlung in fünf Sätzen zusammenzufassen. Manche Opernstoffe sind recht kompliziert. Selbst der Kenner muss oft ziemlich allem hinterher sein, um alles zu verstehen.
Worum geht es in „Tosca“?
Wie so oft im Leben um Liebe und Hinterhalt. Cavaradossi malt ein Bild in einer Kirche. Er ist in Tosca verliebt und sie liebt ihn. Es gibt einen dritten, den Polizeichef Scarpia, dem das nicht passt. Cavaradossi versteckt einen flüchtigen politischen Gefangenen, und das gibt Scarpia die Möglichkeit zur Rache. Darüber werde ich vor der Aufführung mit dem Dramaturgen Miron Hakenbeck sprechen.
Was macht ein Dramaturg eigentlich?
Ein Berater des Regisseurs, der Texte für das Programmheft schreibt und den Stoff der Oper genau kennt. Ich hoffe, er kann uns darüber erzählen, was sich Luc Bondy bei seiner Inszenierung gedacht hat.
Mögen Sie Regietheater?
Wegen mir kann es stärker in eine moderne Richtung gehen. In manchen Aufführungen denke ich, das ist ein Museum, wer will das in zehn Jahren noch sehen? Ich setze auch viel Hoffnung in jüngere Komponisten wie Moritz Eggert, die wieder stärker Gefühle zulassen. Wenn ich als Pianist seinen Zyklus „Hämmerklaviere“ spiele, kommt das bei jüngeren Leuten immer sehr gut an.
Darüber sollten Sie mit dem Intendanten Nikolaus Bachler reden. Oder ihn zu Kent Naganos Nichtverlängerung befragen.
Das werde ich sicher nicht. Es ist immer schwierig, über Dritte zu reden, die nicht anwesend sind.
Wen treffen Sie in der Pause?
Ich hoffe, dass uns Jonas Kaufmann seine Lieblingsstelle vorsingt. Wenn die Leute sie dann während der Aufführung wieder hören, erinnern sie sich daran. Im Idealfall pfeifen sie die Melodie dann auf dem Nachhauseweg.
Halten Sie das Publikum über das WM-Spiel um den dritten Platz auf dem Laufenden?
Ich werde die Fußballfans in der Anmoderation bitten, im Fall eines Tors auf dem Max-Joseph-Platz nicht gleich loszubrüllen, sondern München mehr innerlich leuchten zu lassen. In der Pause werde ich aber sicher das Zwischenergebnis bekanntgeben.
Reden Sie mit Karita Mattila, der Sängerin der Titelrolle?
Ich hoffe, es klappt. Auf jeden Fall spreche ich mit einem Bühnenarbeiter. Vielleicht stellt sich heraus, dass „Tosca“ seine Lieblingsoper ist, weil er da 20 Minuten Pause hat. Ein Teil dieser Gespräche wird vorproduziert. Unbedingt möchte ich den Tölzer Knaben treffen, weil ich selbst als Kind in „Tosca“ auf der Bühne gestanden bin.
Wo war das?
Im Opernhaus von Essen. Dort habe ich als Zehnjähriger im Kinderchor das „Tedeum“ mitgesungen. José Carreras war der Cavaradossi. Wir haben damals die Bierflaschen der Solisten gesammelt, um uns vom Pfand in der Kantine eine Brotzeit zu kaufen.
Robert Braunmüller
Samstag, Max-Joseph-Platz, ab 20 Uhr. Eintritt frei, keine Karten erforderlich
Das Ereignis des Münchner Opernjahres live, für Nerds und Stubenhocker
Es ist heuer ziemlich schwer, dem Mega-Ereignis des Münchner Opernjahres am Samstag zu entkommen: Für hartnäckige Stubenhocker und Nicht-Münchner wird Puccinis „Tosca“ zeitgleich auch live im Kulturkanal Arte übertragen.
Gänzlich opernfremde Computer-Nerds könnte interessieren, was die Tosca-Piraten treiben: Junge Videokünstler mischen das Bild- und Tonmaterial der Übertragung neu und und verfremden es zusätzlich mit eigenem Material. Im Pavillon 21 MINI Opera Space auf dem Marstallplatz hinter der Oper kann man sie ab 19 Uhr bei ihrem Treiben beobachten, Nicht-Münchner können es auf der Homepage von Arte verfolgen.
Aber wir versprechen: Am schönsten ist es, Puccinis Opernkrimi live auf dem Platz mitzuverfolgen. Die Übertragung beginnt um 20 Uhr. Dann flüchtet der politische Gefangene Angelotti aus der Haft in der Engelsburg und flieht in die römische Kirche St. Andrea della Valle. Sie war übrigens das Vorbild unserer Theatinerkirche. Allerdings ist davon im kahlen Bühnenbild von Richard Peduzzi nicht viel zu sehen. Wenig nach Beginn singt Jonas Kaufmann bereits die wunderbare Arie „Recondita armonia“, wenn er in der Kirche die Maria Magdalena malt. Im zweiten Akts imponiert er gewiss wie in der Premiere mit den lang gehaltenen „Vittoria!“-Rufen. Damit gibt er sich als Anhänger Napoleons zu erkennen, worauf der Polizeichef Scarpia seine Hinrichtung befiehlt. Vor seiner Erschießung schreibt er einen Abschiedsbrief an Tosca und erinnert sich in der Arie „E lucevan le stelle“ an das gemeinsame Liebesglück.
Mitdirigieren ist erlaubt, Flaschen und Trinkbehälter aus Glas dürfen leider nicht mitgebracht werden. Stühle, Hocker und andere gefährliche Gegenstände hat das Kreisverwaltungsreferat verboten. An den Zugängen werden kostenlose Besetzungszettel verteilt. Die Zu- und Abfahrt zur Tiefgarage ist am Sonntag über jeweils eine Spur möglich. Die Tramline 19 wird umgeleitet. Mit einer Pause dauert die Aufführung bis etwa 22.15 Uhr. Wer bis zum Ende durchhält, bekommt die Sänger leibhaftig zu sehen: Sie verbeugen sich traditionell auf der Freitreppe vor dem Publikum am Platz.