Liebe, Kakteen und Eispickel
Mit seinem dem Rum sehr zugeneigten Kommissar Mario Conde und den Fällen der „Havanna Quartett”-Reihe hat sich der kubanische Autor Leonardo Padura in Europa eine große Krimi-Fangemeinde erobert. Seine Systemkritik blieb dabei immer überraschend deutlich für einen noch immer im Castro-Regime weilenden Autor. Vor vier Jahren veröffentlichte er mit „Adios Hemingway” den Roman einer Entmystifizierung. Nun meldet er sich gewaltig und gewichtig zurück.
„Der Mann, der Hunde liebte” ist ein grandioser Kraftakt. Denn Paduras 730-seitiger Wälzer über die letzten elf Exil-Jahre des russischen Revolutionärs Leo Trotzki ist auch eine packende Geschichte über die ungeheure politische Desillusionierung im 20. Jahrhundert: Den Verrat der russischen Revolution durch Stalin, deren Folgen schließlich ein halbes Jahrhundert in der halben Welt zu spüren waren.
Wie überall im Einflussberich der Sowjetunion war auch auf Kuba Leo Trotzki für die nach dem Zweiten Weltkrieg geborene Generation nahezu ein Unbekannter. Seine Bücher waren ebenso verboten wie objektive Schriften über ihn, es galt die Propaganda, die ihn als einen Verräter der Sowjetunion darstellte, der Stalin töten und mit Hitler paktieren wollte. Padura erweitert die Geschichte, die lange vor ihm schon Peter Weiss und Jorge Semprun zu Romanen anregte, um eine kubanische Ebene: Am Strand trifft der Ich-Erzähler Mitte der 70er Jahre einen rätselhaften Mann (mit zwei Hunden), der ihm bei regelmäßigen Treffen fast lückenloß die – real spärlich dokumentierte – Biografie von Ramón Mercador erzählt, jenem Mann, der Trotzki 1940 in Mexiko mit einem Eispickel töten sollte. Ist der Hundeliebhaber gar der Mörder selbst? Padura nutzt diese Erzählebene zu einer hemmungslosen Abrechnung mit dem kubanischen Kommunismus, der in den 70er Jahren quasi in der Hand Moskaus lag.
Noch bewegender gelingt ihm die wachsende Verzweiflung des als Lew Dawidowitsch Bronstein geborenen Leo Trotzki, der nach Monaten Verbannung in Sibirien 1929 überraschend von der Türkei unter Atatürk Exil erhält. Trotzki muss das folgende Jahrzehnt in Frankreich, Norwegen und zuletzt Mexiko miterleben, wie sein einstiger Mitstreiter Stalin alle Trotzki-Sympathisanten umbringen lässt (auch dessen Kinder), lächerlichste Schauprozesse inszeniert und zunehmend Einfluss auf die westeuropäischen Kommunisten gewinnt. Der machtlose Trotzki ist überall ein Geächteter, vergräbt sich in seine Arbeit und sieht hellsichtig, wie die Welt unter Hitler und Stalin in Stücke fallen muss.
Der Mann, der sich selbst verbat, auf der türkischen Prinzeninsel Rosen zu pflanzen, um sich die Situation des dauerhaften Exils nicht einzugestehen, entdeckt in Mexiko City ab 1937 ein neues Leben – in jeder Beziehung. Er züchtet Kaninchen, sammelt Kakteen und verliebt sich in Christina Kahlo, die Schwester der Malerin Frida, Ehefrau seines Gastgebers Diego Rivera. Seine Avancen schlagen fehl, aber plötzlich ist es Frida selbst, die sich von dem fast vier Jahrzehnte älteren Mann verführen lässt. Der so eisern disziplinierte Gründer der Roten Armee verfällt der geheimnisvollen Künstlerin völlig, bis er reumütig versucht, seine enttäuscht in die mexikanische Bergwelt verzogene Frau Natalja Sedowa nach über 30 Jahren Ehe wieder zurück zu gewinnen.
Souverän verbindet der 55-jährige Padura den „Krimistoff”, die jahrelange Vorbereitung Mercadors auf den Mord an Trotzki, mit den Wirren der großen Weltpolitik und schafft so einen wahren Schmöker, der den Leser erschüttert zurücklässt.
Leonardo Padura: „Der Mann, der Hunde liebte” (Unionsverlag, 734 Seiten, 28.90 Euro)
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