Leon de Winters "Geronimo"
Leon de Winter hat einen spannenden Roman über die Ergreifung von Osama Bin Laden geschrieben
Gleich zu Beginn begeht Leon de Winter eine Unverschämtheit: Er beschreibt Osama Bin Laden, seit dem Terroranschlag vom September 2001 der Inbegriff des Bösen, als liebevollen und (wenn auch nur dank Viagra) liebestollen Ehemann und Vater! Er lebt versteckt auf einem ummauerten Anwesen in Pakistan, nur im Schutz der Nacht traut er sich manchmal hinaus, um etwas Freiheit zu genießen.
Man ertappt sich bei einem leisen Lächeln, wenn man liest, wie der meistgesuchte Mann der Welt, mit Lederhaube und Schal getarnt, auf einem Moped durch die nächtlichen Straßen von Abbottabad düst, um seiner jüngsten Frau Vanilleeis und Schokolade zu kaufen und sich selbst Zigaretten. Für die Liebesnacht, in der es auch den neunten Jahrestag von 9/11 zu feiern gilt. Vor allem aber hat Bin Laden gerade etwas erhalten, womit er den US-Präsidenten erpressen will.
Man sieht: Die verstörende Sympathie für Bin Laden währt nicht lange, und bald schon wird er ohnehin eher zum Objekt. Leon de Winters Roman „Geronimo“, der heute erscheint, erzählt von den Umständen, die zur Ergreifung und Tötung des Terroristen führen. Oder wurde er gar nicht getötet? Haben vielleicht nur Mitglieder einer US-Spezialeinheit in einer Bierlaune einen ungeheuerlichen, völlig verrückten Plan gefasst und ihn dann auch tatsächlich umgesetzt?
Das Weiße Haus will nämlich, so lautet ein geheimer Zusatzbefehl zur Operation „Neptune Spear“, dass Bin Laden beim Sturm auf das Anwesen in der Nacht auf den 2. Mai 2011 auf jeden Fall getötet wird. Die Ausführenden – das ist der Kniff bei Leon de Winters Fassung der Ereignisse – wollen ihn aber gefangen nehmen, um ihn zu befragen und schließlich zu bestrafen.
Ein sich drehender Strudel
Ein Roman mit Osama Bin Laden als eine Hauptfigur – wumms ! Leon de Winter jongliert in „Geronimo“ gewissermaßen mit Medizinbällen: Viel höher hätte er nicht greifen können bei der Themen- und Personalwahl.
Sein eigentlicher Held aber ist der jüdische Ex-CIA-Mann und Afghanistan-Veteran Tom Johnson, der ein gebrochener Mann ist, seit er seine kleine Tochter in Folge der Anschläge von Madrid 2004 verloren hat.
Umso mehr fühlt er sich für ein muslimisches Mädchen verantwortlich, das er bei einer Mission in Afghanistan trifft und das, ebenso wie er, verzückt ist von Bachs „Goldberg-Variationen, vor allem natürlich, wenn sie von Glenn Gould gespielt werden. Für das Mädchen: ein Wunder.
Der Strudel, der sich um Bin Laden dreht, erfasst auch einen christlichen Jungen, der mit seiner Mutter in Abbottabad lebt, und die konkurrierenden Geheim- und Sicherheitsdienste diverser Staaten.
Leon de Winter schleift seine Leser in vielen Kapiteln, die meist mit Orts- und Zeitwechseln einhergehen, durch das Grauen des Krieges, die Menschlichkeit unter unmenschlichen Umständen, die schönen Schmerzen der Liebe und die Schönheit der Musik und die Widersprüchlichkeit der Religion – und die Christen kommen hier deutlich am besten weg.
Naturgemäß gibt es bei diesem Thema wenig zu lachen. Aber das Kapitel, in dem de Winter Präsident Barack Obama an seiner „Wir haben ihn!“-Rede feilen lässt, ist doch durchaus unterhaltsam. Spannend ist es sowieso. Wie überhaupt Leon de Winter wieder so geradeheraus erzählt, dass man die Verfilmung des Romans im Geiste schon vor sich sieht.
Leon de Winter „Geronimo“ (Diogenes, 448 Seiten, 24 Euro). Lesung: Am 19. Februar (20 Uhr) liest de Winter im Münchner Literaturhaus (zuvor schon am 22. September in Salzburg, 4. Oktober in Nürnberg)