Leise donnert das Blech
Klang-Spiegelungen ohne Avantgarde-Schocks: Die Uraufführung von Jay Schwartz’ „Narcissus und Echo“ in der Allerheiligenhofkirche ist die erste Premiere der Münchner Opernfestspiele
Vor der Allerheiligenhofkirche beschwert sich ein Logenschließer bei seinem Kollegen über die Lautstärke. In den Noten steht jedoch oft „Pianissimo“. Heute ab 21 Uhr weiß man mehr: Dann wird „Narcissus und Echo“ uraufgeführt.
AZ: Herr Schwartz, raten Sie zu Ohrenstöpseln?
JAY SCHWARTZ: Nein. Neunzig Prozent der Musik sind sehr leise. Die Besetzung ist intim: Nur eine Bratsche, ein Countertenor und Schlagzeug wirken mit. Avantgardistische Schocks habe ich vermieden.
Warum schreiben Sie für Bratsche, das hässliche Entlein unter den Streichern?
Die Violine klingt in hoher Lage leicht hysterisch. Ich mag besonders die tiefe C-Saite der Bratsche und die Melancholie des Klangs. Dazu passt der Countertenor: Er ist von der Lage und dem Umfang die Bratsche unter den Stimmen.
Was bedeutet Ihnen der Mythos von Narziss und Echo?
Mehr als die Handlung interessierten mich die musikalischen Möglichkeiten von Echo und Spiegelung, wenn aus einer Oktave durch lange Glissandi ein Klang wird. Ich habe dabei geometrisch gedacht.
Dreht sich die Oper um Narzissmus?
Die Selbstverliebtheit scheint mir ein Missverständnis dieser Episode aus Ovids „Metamorphosen“ zu sein. Narziss weiß doch gar nicht, dass er selbst das Spiegelbild ist. Ihn zieht die Schönheit an. Die Tragik besteht darin, dass er sie nicht bekommen kann. Die Regisseurin Christiane Pohle hat dem eine ganz neue Ebene hinzugefügt, die mit meinem Sujet nur wenig zu tun hat.
Stört Sie das?
Im Gegenteil: Ich finde das spannend, weil so eine weitere Spiegelung entsteht. Die Regie interessiert sich weniger für Narziss als für Echo. Neun Schauspielerinnen verkörpern diese Figur, aber in der Jetztzeit. Daran habe ich nicht gedacht, schon wegen des lateinischen Texts, der die Überzeitlichkeit unterstreicht.
Ihr Werk war 2003 in Kaiserslautern zu hören, trotzdem spricht die Staatsoper von einer Uraufführung.
Ich habe damals selbst Trommel und Donnerblech gespielt, obwohl ich kein Schlagzeuger bin. Die knapp eine halbe Stunde Musik habe ich auf 90 Minuten erweitert. Von der Ur-Version habe ich keine Viertelstunde übernommen. Wichtig war mir eine Barockarie von Marc Antonio Cesti aus dem 17. Jahrhundert, die ich durch meine Nebentätigkeit als Liedbegleiter kennengelernt habe. Sie passt als Lamento zum Thema. Sie wird aber zur Essenz heruntergekocht und dreimal so langsam wie im Original gespielt.
Was interessiert Sie an der alten Musik?
Ich bewundere die präzise, fast mathematische Konstruktion, die es schon im frühen Mittelalter gab. Wenn im Organum aus der Einstimmigkeit durch Intervalle zur Mehrstimmigkeit erweitert wird, erkenne ich darin fast meine eigene Ästhetik. Komponisten wie Machaut und Ockeghem wollten nie und nimmer sich selbst darstellen und ausdrücken. Dieser selbstlose Dienst an der Kunst imponiert mir. Ich liebe Schubert, aber schönere Vokalmusik als in der Renaissance wurde nie wieder geschrieben. Schade, dass sie auch unter Musikern so wenig bekannt ist.
Robert Braunmüller
Die Uraufführung von „Narcissus und Echo“ ist ausverkauft. Weitere Vorstellungen am 3. und 4. 7. Karten: Tel. 2185 1920
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