Legenden im Sensorium

In einer anderen Dimension, aber zu nah dem Museum: Kraftwerk inszenieren sich live in der Alten Kongresshalle
von  Michael Grill

Kraftwerk sind einer der größten deutschen Beiträge zur modernen Musik, wenn nicht gar der größte. Entsprechend gewaltig sind die Erwartungen. Noch dazu, wenn die Düsseldorfer Elektronik-Pioniere erstmals ein 3D-Konzert ankündigen und das auch noch mit einer weltexklusiven Ausstellung im Lenbachhaus-Kunstbau verknüpfen. Die Live-Show findet in der Alten Kongresshalle statt, also unmittelbar gegenüber der Dependance des Deutschen Museums. Eine sinnige Nachbarschaft, wie sich herausstellt.

Die Menschenschlange vor dem Eingang ist jedenfalls wegen der schikanösen Kontrollen der personalisierten Tickets mehr als hundert Meter lang, außerdem bekommt jeder ein schickes Kraftwerk-3D-Brillchen.

Vier Männer starten die "Mensch-Maschine"

Dann fällt der Vorhang und vier Männer in schwarzer Funktionskleidung starten die „Mensch-Maschine”. Exakt zwei Stunden lang werden sie vor ihren vier Konsolen stehen, höchstens ein wenig im Takt mitwippen und dabei kein einziges Wort direkt ans Publikum richten. Denn die Puppen tanzen hinter ihnen, im virtuellen 3D-Raum.

„Wir sind die Roboter” wummert es durch den Saal, und allmählich wird klar: Die Visualisierungen stammen durchweg aus den bekannten Videos oder von früheren Shows – nur sind sie eben jetzt in 3D. Das ist manchmal beeindruckend. Es folgt „Electric Café”, bei Kraftwerk wohl eine echte Live-Rarität, ganz in hellweißer Optik, wie eine Raum-Lichtinstallation von James Turrell. Große Kunst! Dann munter weiter im Best-of-Programm, „Numbers”, „Vitamin”, „Schaufensterpuppen”, „Trans Europa Express”... Da fliegt einem mal Matrix-artiges Zahlengeflimmer ins Gesicht, mal sind’s Riesenpillen und Sprudelbläschen. Meistens werden Text-Slogans in einzelne Wörter zerlegt und dreidimensional zum Schweben gebracht.
Das ist schön und sehr ästhetisch. Aber es ist doch auch erstaunlich, dass hier so viel Aufhebens darum gemacht wird, wo das Kino längst ganz andere Effektkaliber auffährt, und die Hardrocker von Kiss(!) schon vor mehr als zehn Jahren mit teilweise spektakuläreren 3D-Live-Effekten auf Tour waren. Ganz böse gesagt: Auf der Wiesn heißt eine Show dieser Art Sensorium.

Bei „Tour de France” und bei „Das Model” sieht man die bekannten Schwarz-Weiß-Videos mit den historischen Aufnahmen aus der realen Welt – erstaunlicherweise entwickeln sie in der dezenten Verfremdung zusammen mit der Musik den stärksten Sog, die größte Magie. Die Kraftwerker verabschieden sich mit „Musique Non Stop”, einer nach dem anderen verschwindet von der Bühne, die Musik-Maschine läuft noch ein bisschen nach. Man durfte eine Legende erleben und dafür ist man dankbar. Aber es war doch: sehr nahe dem Museum. 

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