Lebensgier im Bruderkrieg

Alexander Nerlich inszenierte „Leere Stadt“ von Dejan Dukovski im Marstall
von  Abendzeitung

Alexander Nerlich inszenierte „Leere Stadt“ von Dejan Dukovski im Marstall

Ein Mann windet sich, gefesselt an Händen und Füßen. Der ihn gefangen genommen hat, ist ein feindlicher Soldat – und sein jüngerer Bruder. Ihr Wiedersehen im Niemandsland wird zu einem Aufbegehren gegen den Tod. Das kollektive Trauma des Bruderkriegs beschreibt der Mazedonier Dejan Dukovski, der Shooting Star unter den Balkan-Autoren, in seinem Stück „Leere Stadt“. Alexander Nerlich inszenierte die deutschsprachige Erstaufführung im Marstall. Viel Applaus für die Darsteller Marcus Calvin und Felix Klare.

Auf einer hügeligen, schwarzen Schlackenhalde steht eine schräge Drehscheibe, seitlich ein Klettergerüst: Ein verbrannter Spielplatz, von Drahtgittern umzäunt wie ein Käfig (Bühne: Matthias Schaller). Hier, in einer menschenleeren Stadt, begegnen sich die Brüder, die sich jahrelang nicht gesehen haben, als feindliche Soldaten. Und trotz aller Aggressionen aus der Kindheit lassen sie im Angesicht des Todes, der auf sie wartet, ihrer Lebensgier freien Lauf.

Zuviel Gerede

Gemeinsam fantasieren sie sich in dieser Nacht durch alles, was sie gerne erleben würden: kleiden sich mit schicken Anzügen ein, löffeln Kaviar und trinken Champagner, rauben eine Bank aus. Und reden – über zu Hause, über Mama, über Gjores unrühmliche Vergangenheit in New York und und was aus seiner Freundin Maria geworden ist. Maria ist der wunde Punkt des schmierigen Gjore (Marcus Calvin), und der überlegene Gjero (Felix Klare) stochert genüsslich mit immer neuen Variationen und Irritationen darin herum.

Die Drehscheibe wird zum Roulettetisch, auf den sie mit Geröll aberwitzige Einsätze werfen. Leider traut sich Regisseur Nerlich nicht, wirklich alles aus der Fantasie der Darsteller entstehen zu lassen, sondern bemüht doch Theatermittel. Da rauscht ein rotseidener Vorhang herunter, wenn die beiden ins Theater gehen und in die Kostüme von Julia und Ophelia schlüpfen. Das ist ebenso komisch wie ihr Onanieren im Bordell. In der Kirche macht sich mit roten Totenlichtern Pathos breit. Man könnte sich alles etwas trockener und lakonischer vorstellen, mehr im Sinne Beckettscher Existenzclowns. Vielleicht käme dann etwas mehr Dynamik in die doch recht langen 90 Minuten.

Alles bleibt in der Schwebe, Lüge und Wahrheit, Realität und Traum sind ununterscheidbar. Versöhnlich das Ende: Hand in Hand steigen Gjero und Gjore als Projektion nackt in den Totenfluss.

Gabriella Lorenz

Marstall, 19., 22., 29. Dez., 11., 12. Jan., 20 Uhr, Tel.21851940

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