Laut, rotzig, mit vielen Vitaminen
Pete Doherty rockt mit den Babyshambles die Tonhalle und genießt seine Zigarette
Es kann nicht wahr sein: Ist Pete Doherty anständig geworden? Auf der Bühne der Tonhalle stehen zwei olle Lampen aus Omas Zeiten, der Star der Babyshambles kriecht nicht zur Geisterstunde auf die Bühne, sondern schlurft abends um halb zehn herein, und in seinem Bierbecher schwappt ein orangenes Gebräu, das nicht nach Drogen- Cocktail sondern Multivitaminsaft aussieht. Dynamite- Pete, was ist geschehen?
Vielleicht langweilt ja auch der Exzess irgendwann. Wegen eines Gerichtstermins konnte Doherty im Januar nicht in München auftreten und holte den Gig mit seinen drei Weggefährten pflichtschuldigst und gut gelaunt nach.
Der Poet mit der wunden Seele hat seine Spuren längst hinterlassen: Männliche Nacheiferer blickten morbide unter der Hutkante hervor, trugen weißes Hemd mit Schlips, um als Doherty-Klon die Gunst der Stunde zu nutzen: ausverkauftesHaus, Mädchenanteil hoch.
Mit dem Opener „Carry on up the morning“ schlenderte Doherty plus Band auf die Bühne, wehrte einen geworfenen Bierbecher elegant mit dem Gitarrenhals ab und verströmte die Aura des Dandys, der seine Brillanz beweist und weiß, dass er sich nichts beweisen muss. Die Kompositionen sind eh schon mehr als gut, Indie-Rock, der mal in den Punk, mal den Ska ausufert, stets auf der Melodielinie des einsamen Melancholikers.
Perfekt wirkt hier nichts, seinen Launen scheint Doherty seelenruhig nachzugehen, pflückt mal ein schiefes Solo von der Gitarre, um dann unerhört das Tempo zu steigern. Zwischendurch setzt er sich in eine Ecke und raucht eine, ins Dunkel gehüllt, die Band spielt weiter. Was ist improvisiert, was einstudiert, was subversiv, was hohle Pose? Ist doch egal.
„Fuck forever“ beendet das eineinhalbstündige Konzert, die Fans im Endorphinrausch. Und eine Krankenschwester aus Sachsen entdeckt den Rezensenten, diktiert ihm ins Notizbuch: „Schreib, dass das Konzert total toll war.“
Michael Stadler
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