Lasst euch verführen!
Ohne Störgeräusche der Regie: Der Einspringer Andreas Kowalewitz dirigierte „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill am Gärtnerplatz zum bejubelten Erfolg
Wenn der Kapitalismus kriselt, wird diese Oper gern hervorgekramt. Schnaps, Liebe, Boxkämpfe und Gerichtsverfahren sind in der Paradies-Stadt Mahagonny käuflich. Richtig lustig wird es allerdings erst, wenn der Held den neoliberalen Kampf aller gegen alle ausruft. Darin kommt er als zum Tode verurteilter Zechpreller allerdings selbst um.
Der Regisseur Thomas Schulte-Michels verkniff sich am Gärtnerplatz jede naheliegende Aktualisierung. Weil in der Premiere sehr textverständlich gesungen wurde, kam der Kern von Bertolt Brechts Botschaft deutlich heraus. In seiner vormarxistischen Phase verdammte er keineswegs moralisierend den Konsum. Die 1930 in Leipzig uraufgeführte Oper feiert die Verschwendung als Urgrund von Leben und Spaß. Das gipfelt im großen Choral „Lasst euch nicht verführen“, mit dem Jim Mahoney im Angesicht des Todes Gott und den Jenseitsglauben verurteilt.
Weil die Genuss-Stadt in der ersten Szene durch das Ausstellen eines Stuhls gegründet wird, ließ Schulte-Michels als sein eigener Bühnenbildner alles zwischen gelben Sitzmöbeln spielen. Die bei dieser Oper unvermeidlichen Strapse befriedigten das Schaubedürfnis, und wer mochte, durfte sich den eigenen Reim auf Brechts Aktualität machen, während keine Regiemätzchen von Kurt Weills genialer Musik ablenkten.
Musikalisch exzellent
Die hat es am Gärtnerplatz in sich. Chefdirigent David Stahl musste wegen einer ernsten Erkrankung seiner Frau abreisen. Für ihn übernahm der Erste Kapellmeister Andreas Kowalewitz. Ohne die Zwanziger-Jahre-Nostalgie übermäßig zu streicheln, spürt er der Vielfalt dieser zwischen Music-Hall, Bach-Persiflage und dröhnendem Katastrophen-Ernst schillernden Musik nach. Selbst aus den schlichten, von der E-Gitarre begleiteten Szenen von Jim und Jenny holte das vorzügliche Orchester eine bisher kaum vernommene Blues-Melancholie heraus.
Das Fehlen des rätselhaften „Spiels von Gott in Mahagonny“ lässt sich verschmerzen. Schade ist es um das ebenfalls gestrichene Kraniche-Duett: Es würde die gekaufte Erotik zwischen Jim und Jenny etwas dialektischer erscheinen lassen. Aber auf Zwischentöne wollte die Regie nicht hinaus. Ohnehin blieben die Hauptfiguren schemenhaft, weil alle Gestalten zu traurigen Clowns geschminkt waren.
Zum Ausgleich sang sich Wolfgang Schwaninger als Jim heldentenoral in den Vordergrund. Heike Susanne Daum legte die Jenny diseusenmäßig an, wie es seit Lotte Lenya üblich ist. Auch die vielen Chargen wären zu loben. Warum aber musste die Witwe Begbick der noblen Ann-Katrin Naidu anvertraut werden? Die vielen Ausbrüche dieser Knusperhexenrolle sind wirklich nichts für den lyrischen Mezzo dieser Sängerin, die impressionistische Musik aus Frankreich wunderbar zu singen versteht. Hier musste sie den ganzen Abend ungesund forcieren.
Weil er nicht viel machte, durfte Schulte-Michels einen von Störgeräuschen ungetrübten Premierenbeifall genießen. Nach einer längeren Durststrecke zeigte sich das Gärtnerplatztheater in dieser Neuproduktion wieder einmal von seiner allerbesten Seite.
Robert Braunmüller
Wieder am 24., 30. 6. und im Juli. Karten: Tel. 21 85 19 60
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