Lang Lang, der Heizstrahler
Nördlich von Verona, so seufzte einst der Regisseur Max Reinhardt, seien Aufführungen unter freiem Himmel unmöglich. Trotzdem hat er den „Jedermann” auf dem Salzburger Domplatz erfunden, von dessen Atmosphäre das sonst nicht übermäßig beliebte Hofmannsthal-Stück zehrt.
Mit diesem ewigen Widerspruch muss die Freiluftkultur leben. Im Juni, Juli und August fallen statistisch die meisten Niederschläge. Der Salzburger „Jedermann” sieht sich deshalb vor: Bei Schnürlregen wechselt die Aufführung ins Große Festspielhaus. In Bregenz gelten 1600 der insgesamt 7000 Seebühnen-Karten auch füs Festspielhaus. Dort gibt’s die Oper dann halbszenisch, wenn’s arg schüttet.
Es ist also nicht in Stein gemeißelt, dass solche Events ins Wasser fallen müssen. Mit den 2400 Plätzen im Gasteig in der Hinterhand könnte „Klassik am Odeonsplatz” noch mehr Hörer ins Trockene retten als Bregenz. Wer mit derlei Hintergedanken griesgrämig am Sonntag zum Konzert der Münchner Philharmoniker ging, dem heizte Lang Lang mit Liszts Klavierkonzert Nr. 1 danach gehörig ein: Sein mitreißender Spaß an der Virtuosität könnte binnen Sekunden auch Sommerschnee zum Schmelzen bringen. Die tüchtige Janine Jansen, am Vorabend mit Mendelssohns Violinkonzert weniger gut beraten, hätte im Niederschlagsfall kaum die Massen auf dem Platz gehalten.
Absetzbewegungen gab es am Sonntag trotz düsterer Aussichten keine. Auch Dvoráks Achte funktionierte bestens. Obwohl kurz vor Schluss das Starktröpfeln in einen Schauer überging, brachten die Philis sogar noch mit dem Slawischen Tanz Nr. 8 und Smetanas „Einzug der Komödianten” zwei Zugaben an den Mann.
Rockfans sind übrigens noch weniger aus Zucker. Beim Open Air im holsteinischen Wacken wird’s erst richtig schön, wenn alle sich im Schlamm suhlen dürfen. Aber selbst bei Strawinskys „Sacre” wird’s dazu keinen Bildungsbürger gelüsten. Wenn „Klassik am Odeonsplatz” allerdings gratis wäre und auf dem Odeonsplatz eine Picknick-Atmosphäre wie bei „Oper für alle” vorm Nationaltheater geduldet würde, gäbe es kein Granteln über den Regen mehr. Aber das ist für die Verantwortlichen kein Thema. Sie jammern lieber, dass die Staatsoper mit BMW einen solventen Sponsor habe, statt für ihre Weltklasseorchester selber welche zu suchen.