Lambert Hamel wird 70: "Des is doch tragisch!"
Von der Pfalz zog Lambert Hamel aus, die großen Bühnen zu erobern. Heute wird der Schauspieler 70 Jahre alt – und feiert auf der Bühne
Hör’n Se auf zu studieren, geh’n Se ans Theater.“ So sprach sein Professor, nachdem er den Theaterwissenschafts-Studenten Lambert Hamel auf der Studiobühne Köln gesehen hatte. Rolf Badenhausen höchstselbst überredete also den widerstrebenden Papa Hamel, seinen Sohn an einer Schauspielschule vorsprechen zu lassen. Woraufhin der Vater seine Töchter ermahnte: „Werdet mal was, damit ihr den Hungerleider durchfüttern könnt.“ Das war nicht nötig: Lambert Hamel legte als Schauspieler einen Senkrechtstart hin und gehört seit langem zur ersten Riege der deutschen Charakterdarsteller.
Seit 1968 ist der gebürtige Pfälzer in München zu Hause. Im Residenz Theater feiert er am Montag seinen 70. Geburtstag. Auf der Bühne: „Das ziehe ich jeder privaten Feier vor“, sagt er. In Georg Kaisers expressionistischem Stationendrama „Von morgens bis mitternachts“ spielt er die Hauptrolle, und gefeiert wird danach natürlich auch.
An sein Vorsprechen in Bochum erinnert sich Hamel mit Schmunzeln: „Ich rezitierte Talbots Tod aus Schillers ,Jungfrau von Orléans’ – in breitem Pfälzisch. Alle haben sich totgelacht. Ich sagte beleidigt: ,Isch weeß net, was do zu lache gibt. Des is tragisch!’“ Noch vor Abschluss der Schauspielschule holte ihn Oscar Fritz Schuh ans Schauspielhaus Hamburg. Dort debütierte Hamel 1963 unter Fritz Kortner als Sohn in Molières „Der eingebildete Kranke“: „Das war ein wunderbarer Anfang mit 23 – mit Kollegen wie Curt Bois und Ella Büchi, von denen ich mir am Tag zuvor noch ein Autogramm geholt hätte.“ Zu Hamels Leidwesen blieb es die einzige Arbeit mit Kortner: „Ich hätte gerne nochmal bei ihm gespielt. Es gab ja bei seinen Schauspielern nur die Geschädigten oder die Geliebten. Mich hat er gemocht.“
Als Erinnerung hat er Kortners Regiestuhl in seiner Garderobe stehen: „Es ist ein ausladender, altmodischer, abgewetzter Ledersessel, ein Möbler vom Theater hat ihn renoviert. Die Schönheit in der Garderobe ist mir wichtig, ich verbringe da vor jeder Aufführung zwei Stunden.“ Weshalb er beim Umzug des Kammerspiele-Ensembles ins Bayerische Staatsschauspiel seinen Heimvorteil nutzte – er hatte von 1968 bis 1973 am Resi gespielt. „Ich wusste, wo die schönste Garderobe war. Die hatte damals Martin Benrath, und die wollte ich haben.“
Die zwei Stunden vor jeder Vorstellung sind für Hamel ein festes Ritual: „Wenn ich nicht zwei Stunden vorher da wäre, würde meine Garderobierin Cornelia mich anrufen. Da gibt es kein Telefon, nur die Konzentration auf die Rolle, auf die ich mich schon den ganzen Tag vorbereite – bis hin zur Auswahl des Essens und Trinkens.“
Nach Hamburg spielte Lambert Hamel ein Jahr bei Hans Schalla in Bochum, dann vier Jahre bei Arno Assmann in Köln. 1968 kam er ans Münchner Resi, wechselte 1973 an die Kammerspiele, ging nochmal für drei Jahre zu Ivan Nagel nach Hamburg und blieb seit 1976 fest im Kammerspiele-Ensemble, mit dem er 2001 ans Residenz Theater umzog. „Ich war immer mal weg, auch in Berlin, und habe Ausflüge ins Musical gemacht. Aber Dorn hat mich immer wieder eingefangen“, sagt Hamel. „Jetzt ist München meine Heimat: Hier hat man die Freunde – und die Ärzte, die man braucht.“
Der Schauspieler mit den breiten Backenknochen brillierte in unzähligen großen Rollen: als handfester Hamlet unter Ernst Wendt, als Erzkomödiant Zettel in Dieter Dorns „Mittsommernachtstraum“-Inszenierung, als Familien- und Theatertyrann Bruscon in Thomas Bernhards „Theatermacher“ unter Hans Lietzau, als Nathan der Weise unter Alexander Lang: „Nathan hab’ ich geliebt“, sagt Hamel. Die Titelrolle in „Titus Andronicus“ brachte ihm den AZ-Stern des Jahres 2002, in Elmar Goerdens Regie spielte er auch den Existenz-Clown Estragon in „Warten auf Godot“. Bei Regisseurin Barbara Frey glänzte er als hartherziger Zauberkönig in Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“, und in Freys Antritts-Inszenierung „Maria Stuart“ als Intendantin in Zürich spielt er den Burleigh. „So einen Neuanfang mitzuerleben, hält einen jung“, freut sich Hamel.
Am Residenz Theater hat er seine letzten vier Hauptrollen alle mit der Regisseurin Tina Lanik erarbeitet: Ibsens „Baumeister Solness“, Willy Loman in „Tod eines Handlungsreisenden“, den Dorfrichter Adam in „Der Zerbroch’ne Krug“ und den durchbrennenden Kassierer in Georg Kaisers „Von morgens bis mitternachts“. Das Vertrauen in den Regisseur ist für ihn die Arbeitsbasis: „Ich brauche den Regisseur, ich will hören, was er auf der Probe gesehen oder nicht gesehen hat. Wir Schauspieler müssen geliebt und gebraucht werden, wir wollen Rollen haben. Aber wir können nichts allein entscheiden, wir sind abhängig vom Regisseur. Und wenn man etwas zusammen macht, ist man geschützt. Da kann einem nichts passieren, egal ob’s den Leuten gefällt oder nicht.“
Schlechte Kritiken verhageln ihm allerdings die Laune: „Wir haben monatelang gearbeitet und werden von einem Tag auf den anderen verrissen. Das tut weh und gibt Narben.“ Das Älterwerden nimmt er ganz pragmatisch: „Uns kann kein 30- Jähriger den Lear wegspielen – wir ihnen aber auch nicht mehr den Romeo. Nur im Fernsehen heißt’s oft: Ich sehe die Rolle jünger.“ Hamel hat viel fürs Fernsehen gedreht, aber wenig Kinofilme. Sein Lebensmittelpunkt war immer die Bühne: „Da wollt’ ich von Kindheit an hin.“ Da wird er bleiben – auch in München, wenn Martin Kusej 2011 Resi-Intendant wird. Denn soviel verrät Lambert Hamel: „Ich werde mit Kusej arbeiten.“
Gabriella Lorenz
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