Kuschen oder kämpfen?

Durch den geplanten Umzug von Suhrkamp nach Berlin verliert München allmählich seine Vormachtstellung als wichtigste Verlagsstadt Deutschlands
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Durch den geplanten Umzug von Suhrkamp nach Berlin verliert München allmählich seine Vormachtstellung als wichtigste Verlagsstadt Deutschlands

Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist die Verlagerung von gut 100 Arbeitsplätzen von Frankfurt nach Berlin kaum eine Meldung wert. Dass aber der Suhrkamp Verlag 2010 vom Main an die Spree zieht, hat Frankfurt erschüttert. Die Stadt verliert an kulturellem Glanz und Gewicht, und noch ein Verlierer könnte aus dem ursprünglichen Duell hervorgehen: München, lange Zeit die unangefochtene Verlagsmetropole in Deutschland.

Schon in den letzten Jahren hat Berlin – was die Anzahl der Verlage und Titelproduktion betrifft – zu München aufgeschlossen, jedenfalls wenn man den Münchner Großraum nicht mit einrechnet. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen bilanziert der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, beide Städte beherbergten 2007 jeweils 161 Buchhandelsverlage.

Der Vorsitzenden des Bayerischen Landesverbandes des Deutschen Buchhandels, Wolf-Dieter Eggert, sieht keine Bedeutungserosion oder Gefährdung für die Verlagsstadt München und verweist auf gute Standortpolitik und enge Zusammenarbeit mit Stadt und Staat beispielsweise bei der Bücherschau und der Corine-Preisgala.

Das aber genügt Michael Krüger, Chef des renommierten Hanser Verlags, nicht. Er sieht vor allem die Stadt in der Pflicht, die Konkurrenz anzunehmen. „Städte wie Berlin, Köln und Hamburg sind in den letzten Jahren sicherlich intelligenter vorgegangen“, sagt Krüger. Dort wurden erfolgreiche Literaturfestivals gestartet, während die etablierte Münchner Frühjahrsbuchwoche zum Problemfall und schließlich Streichobjekt wurde. Zumindest aber ist dieses Problem im Kulturreferat auf der Agenda.

In Berlin lebt sich's billiger

Schwierig wird die Auseinandersetzung auf einem anderen Gebiet: Berlin ist auch Hauptstadt der Autoren, Bibliotheken, Archive, Universitäten. Von einer Massierung, die für intellektuell anspruchsvolle Menschen interessant sei, spricht Michael Krüger. Ihm fehlen in München Reihen wie „Reden über das eigene Land“ oder die Kultur-Projekte der Allianz-Stiftung, die eingestellt oder nach Berlin abgewandert sind. Vor allem aber vermisst Krüger das Bemühen der Stadt, ein literarisch anregendes Milieu zu erzeugen. Ein Problem für München, denn Berlin ist auch immer noch eine günstige Stadt, was nicht zuletzt junge Künstler aus aller Welt zu schätzen wissen.

„Ein Umzug ist immer wieder mal im Gespräch. Berlin ist größer, internationaler und auch billiger“, sagen die Blumenbar-Verleger Wolfgang Farkas und Lars Birken-Bertsch und stellen ihre Wünsche an München vor: Ein günstiges zentrales Gebäude, das der wachsenden jungen Literatur- und Kreativszene Raum bietet – jenseits von Mainstream und Literaturhaus. Und: „Was in Erlangen geht – das Poetenfest, das vor allem im Freien stattfindet - sollte auch in München möglich sein. Zum Beispiel im Englischen Garten, mit Anbindung ans Haus der Kunst.“

Die Hauptstadt ist hipper

Wo man auch nachfragt: München hat mit dem Verlagsriesen Random House, Piper, Beck, dtv, Kunstmann oder eben Hanser landesweit bekannte Publikumsverlage, aber ein Imageproblem. „Das Labor ist in Berlin, und da muss Suhrkamp in Berlin sein“, sagt Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz. In der „FAZ“ zitiert sie ihren 2002 gestorbenen Mann, der vor seinem Tod gesagt habe: „Was Berlin heute vielleicht noch nicht ist, wird es in Zukunft werden: der entscheidende Mittelpunkt deutscher Kultur in allen Bereichen.“

Hans-Peter Übleis, Chef der Münchner Droemer/Knaur Verlagsgruppe, kann der Aufregung um Wowereits kulturellen Zugewinn dagegen nicht viel abgewinnen: „München bleibt die wichtigste deutsche Verlagsstadt – und das ist gut so.“

Volker Isfort

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.