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Die einen würden den NS-Klotz am liebsten in der Mitte durchfräsen. Die anderen meinen, man müsse der Vergangenheit ins Gesicht blicken. Und zwischendurch vernimmt man auch wieder den alten Wunsch, diesen ewigen Problem-Bunker doch noch zu sprengen. Das Haus der Kunst oder besser dessen Sanierung sorgt für Debatten wie lange nicht mehr. Denn der britische Architekt David Chipperfield will die Bäume zur Prinzregentenstraße hin entfernen und damit die Front wieder sichtbar machen. Damit rührt er gleich an zwei Tabus: das historische und ein ökologisches.
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Seit Herbst sind diese Vorschläge einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Doch mittlerweile hat Chipperfield seine umstrittenen Pläne im Kulturausschuss des Bayerischen Landtags vorgestellt – und nun reagiert auch die Politik. „Da steh ich dann und schau mir den Nazi an!“, polemisierte Sepp Dürr von den Grünen, um ein paar Tage später einigermaßen abgedampft sein Unverständnis darüber zu bekunden, dass Chipperfield „die Fassade und ihre Formensprache wieder uneingeschränkt in Kraft setzen will“.
Das geht zwar an dessen Absicht vorbei, kein halbwegs vernünftiger, geschichtsbewusster Mensch kann daran interessiert sein, die Demonstration der NS-Kulturideologie erneut wirksam werden lassen. Und die Fassade existiert ja – gerade jetzt im Winter ist sie durch die kahlen Bäume sogar besonders gut zu sehen. Tatsächlich bringt Dürr damit aber das Unbehagen der meisten Kritiker auf den Punkt. Denn für sie ist das ehemalige „Haus der deutschen Kunst“ ideologisch kontaminiert.
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Der 175 Meter lange Riegel am südlichen Ende des Englischen Gartens war ein Wunschprojekt Adolf Hitlers. Dessen „Lieblingsarchitekt“ Paul Ludwig Troost, der bereits den „Führerbau“ und die Parteizentrale der NSDAP am Königsplatz konzipiert hatte, ersann auch diese Machtdemonstration im neoklassizistischen Kleid. 1937 weihte Hitler den braunen Tempel für die Paradekünstler des Systems ein – mit einem pompösen Festakt und einer unerträglichen Schmährede auf die Moderne, die im nahen Hofgarten als „entartet“ verfemt wurde.
„Das kann man nicht einfach ignorieren“, sagt Magnus Brechtken, der stellvertretende Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, „dieser Bau ist Rassenideologie in Stein, die man nicht unkommentiert lassen darf“. Andernfalls sei das, als würde man Hitlers „Mein Kampf“ ohne Kommentar veröffentlichen. David Chipperfield sieht das anders, für den weltweit agierenden Museumsexperten tragen Steine keine Schuld. Wenn das so wäre, müsste man dieses Gebäude konsequenterweise entfernen – das war schon im September bei der öffentlichen Präsentation der Pläne sein Credo und wird genauso vom Hausherrn betont.
Der Gegenentwurf zu den Nazis
Schon allein durch die völlige Veränderung der Umgebung lässt sich für Direktor Okwui Enwezor die Situation zwischen 1937 und 1945 nicht wiederholen. Und er verweist auf den Inhalt: „Seit 1946 ist das Haus der Kunst mit Blick auf seine Vergangenheit eines der stabilsten Symbole kultureller Integrität“.
Einfacher gesagt, was hier passiert, ist ein ständiger Gegenentwurf zur ausgrenzenden Kulturpolitik der Nazis. Und kaum etwas könnte dies besser unterstreichen als die derzeit vorgeführten, dezidiert internationalen Positionen der Nachkriegszeit. Sowieso hatten Ausstellungsmacher wie Christoph Vitali und Chris Dercon das Haus der Kunst als Ort der kulturellen Auseinandersetzung etabliert.
Genau das aber spiegelt sich für die Gegner der Pläne Chipperfields nicht im Äußeren wider. Die meisten wünschen sich eine deutliche Intervention, also eine sichtbare Störung dieses „Größenwahns aus Stein“ – von der Schneise bis zum farbigen Keil. „Damit bekommt man die schwierige Geschichte des denkmalgeschützten Baus jedoch nicht entsorgt“, entgegnet Martin Reichert vom Büro Chipperfield. Auch nicht durch eine Reihe von 14 friedlichen Linden, die wie eingangs erwähnt nur ein saisonales Feigenblatt darstellen können. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass sich die historisch-politische Debatte, wenn es ans Eingemachte geht, auf eine ökologische verlagert, frei nach dem Motto „Baum weg – nein danke“. Damit ist man hierzulande schon einmal auf der „korrekten Seite“, das löst aber keineswegs die problematische Eingangssituation.
Etwas muss passieren - nur was?
Denn wenn das Haus sich öffnen und besser an die Stadt angebunden sein soll, muss auch etwas mit dieser Front passieren. Es sei zudem keineswegs beabsichtigt, die Treppe von 1937 wortgetreu zu rekonstruieren, „das wäre auch inhaltlich ein falsches Zeichen“, betont Reichert, „es geht vielmehr um eine einladendere Neuformulierung des Eingangsbereichs“.
Wobei man sich im Büro Chipperfield darüber im Klaren war, welche Sprengkraft die Pläne haben würden, die noch gar nicht mit den direkten Nachbarn, der Landeshauptstadt oder der Schlösser- und Seenverwaltung abgestimmt sind. Andererseits sei das jetzt auch eine Chance. Ein nigerianischer Direktor und ein britischer Architekt können als Unbefangene vorschlagen, das man sich als deutscher Architekt nicht zu denken getrauen würde, meint Reichert.
Eigentlich absurd. Und vielleicht sollte man auch darüber einmal nachdenken. Nun hat sich die Diskussion also an der Fassade und den Bäumen festgebissen. Das bedauert auch Isabell Zacharias, denn „die sei ja nur ein Teil des ansonsten sehr überzeugenden Konzepts“. Die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion ist angetan von der Wiederbelebung des Westflügels und einer offenen Mitte, überhaupt der Transparenz, das sei schließlich der Auftrag genau dieses Hauses. Gleichwohl wünscht auch sie sich dessen „Entmonumentalisierung“.
Verschachtelung
Wie die aussehen soll? Eine konkrete Antwort kommt selten. „Radikalere Ideen“ werden gefordert, „irgendwas Fantasievolles“. Das immerhin haben sich Architekturstudenten der TU ausgedacht: vom gläsernen Aufbau bis zur eliminierten, durch einen Glaswürfel ersetzten „Ehrenhalle“, vom völligen Verschachteln der Fassade bis zum Balkon, der sich wie ein Geschenkband ums ganze Gebäude legt. Das ist zum Teil interessant, oft genug von einer Leichtigkeit bestimmt, die die Kritiker der Chipperfield-Entwürfe erst recht auf die Palme bringen müsste. Aber Studenten dürfen noch in die Tüte fabulieren, und das hilft auch dieser Debatte.
Denn die Ergebnisse zeigen, dass eine junge Generation weniger an alten Denkmustern klebt und ziemlich frei, fast schon ungezwungen mit dem „bösen Bau“ verfährt. Kunstminister Ludwig Spaenle wird die 78-Millionen-Sanierung nicht in Chefmanier durchschleusen können. Bei allen baulichen Malaisen im Haus kann das nur gut sein. Fatal wäre, wenn am Ende ein lauer Kompromiss stünde. Doch vielleicht schafft man es ja gerade in München, die Wunde zu zeigen. Und dabei der inneren – demokratischen – Strahlkraft des Hauses der Kunst zu vertrauen.