Wikinger: Männer mit tätowierten Zähnen

Wikinger, wie sie wirklich waren: Eine Ausstellung in Rosenheim macht Schluss mit diversen Mythen über die Nordmänner.
Christian Muggenthaler |
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Die farbig beleuchtete Nachbildung eines Wikingerschiffes, in der Erlebnisausstellung „Wikinger!“.
dpa 10 Die farbig beleuchtete Nachbildung eines Wikingerschiffes, in der Erlebnisausstellung „Wikinger!“.
Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Lokschuppen Rosenheim 10 Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Lokschuppen Rosenheim 10 Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Lokschuppen Rosenheim 10 Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Lokschuppen Rosenheim 10 Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Lokschuppen Rosenheim 10 Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Lokschuppen Rosenheim 10 Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Lokschuppen Rosenheim 10 Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Lokschuppen Rosenheim 10 Stücke aus der Erlebnis-Ausstellung "Wikinger!" in Rosenheim.
Ein norischer Held aus einer Wagner-Oper. Die echten Wikinger hatten keine Hörner an den Helmen.
Lokschuppen Rosenheim 10 Ein norischer Held aus einer Wagner-Oper. Die echten Wikinger hatten keine Hörner an den Helmen.

Rosenheim - "Wikinger!“ heißt der Titel der diesjährigen Ausstellung im Lokschuppen Rosenheim, die am Freitag eröffnet wurde. Wikinger – wohlgemerkt mit Ausrufezeichen.

Denn das war im frühen Mittelalter ein immer wieder gehörter Schreckensruf: Tauchten die Schiffe der Nordmänner am Horizont oder an Flussufern aus, hieß das Plünderung, Gewalt, Mord. Erstmals historisch verbürgt war es im Jahr 793 das englische Kloster Lindisfarne, das überfallen und heimgesucht wurde, später gingen die Beutezüge durch nahezu ganz Europa weiter, an den Küsten entlang, die Flüsse hinauf. Wikinger! Alarm!

 

Aufräumen mit Wikinger-Klischees

 

Alarm? Nun, nicht so ganz. Jedenfalls: nicht nur. Entschieden arbeiten die Ausstellungsmacher in Rosenheim mit einer sehenswerten, vielschichtigen, aufklärerischen, munter und spannend inszenierten Schau einem Ruf entgegen, der nur ein Teil der historischen Wahrheit ist. Man wolle, sagt Kuratorin Michaela Helmbrecht, aufräumen mit all den Klischees und Stereotypen, die über die Wikinger so herumschwirren. Stattdessen zeigt sie, dass die Leute aus Skandinavien in ihren Herkunftsländern eine entwickelte landwirtschaftliche Basis hatten, Handel trieben, der Kunst sehr zugewandt waren, beispielsweise eine hochentwickelte Ornament-Kunst pflegten – beeindruckende Beispiele gibt es im Lokschuppen zu sehen.

 

Eine Ausstellung für die Sinne

 

In einer zur Gewalt neigenden Zeit neigten eben auch die Wikinger zur Gewalt. Ihre Raubzüge waren deshalb so erfolgreich, weil sie zu ihrer Zeit die führende Schifffahrtsnation waren – mit erstaunlichen technischen Fortschritten. Ein Kernraum der Ausstellung widmet sich denn auch dem nautischen Können der Männer, die das Rudern sein ließen und lieber Segel setzten, lernten, wie man gegen den Wind kreuzt, meerestüchtige Schiffe bauten mit bis zu 40 Metern Länge.

In einer beeindruckenden Installation, umgeben von Schautafeln und einschlägigen Exponaten, steht im Zentrum ein nachempfundenes Schiff aus Acrylglas, das Segel ist Projektionsfläche für dort hinaufgebeamte Seefahrtillusionen, dazu hört man Meeresgeräusche, spürt Wind: eine Ausstellung für alle Sinne.

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Sie kamen weit herum mit ihren Schiffen, diese Wikinger. Denn schon vor Lindisfarne waren sie Händler gewesen, lernten, wo es was zu holen gibt. Wikinger besiedelten Räume, landeten in Island, wohnten in Grönland, entdeckten lang vor Kolumbus Amerika, archäologische Funde im neufundländischen L’Anse aux Meadows beweisen das. Auch im Osten trieben sie Handel, wo sie Waräger hießen oder Rus, gründeten das Kiewer Reich der Rus, den alten Kern Russlands.

Als Nordmänner, als Normannen, regierten sie die Normandie, von dort aus eroberten sie das England unter Harold Godwinson, das der im Jahr 1066 gerade eben noch in der Schlacht von Stamford Bridge gegen König Harald den Harten von Norwegen verteidigt hatte, danach aber im Kampf gegen Wilhelm den Eroberer in der Schlacht von Hastings Land und Leben verlor. Der berühmte Bildteppich von Bayeux erzählt diese Geschichte wie ein früher Comic-Strip, in Rosenheim werden diese Bilder digitalisiert als eine Art Trickfilm präsentiert.

 

Die Ausstellung lädt zum Mitmachen ein

 

Das ist überhaupt – neben der fundierten wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas – eine Stärke der Schau: Überall rührt sich was, es gibt zahlreiche interaktive Mitmachangebote, die Inhalte spielerisch erfahrbar machen, variantenreich sind die Präsentationsideen. Es schadet spürbar nicht, dass der Wiener Ausstellungsgestalter Hans Kudlich und sein Team auch Theatererfahrung haben: Die Wikinger bekommen eine Bühne, vor der historische Wirklichkeit sehr deutlich wird. Das zeigt sich beispielsweise bei der Präsentation der Alltagswelt der Wikinger, die kein einheitliches Volk waren, sondern sich zusammensetzten aus mehreren skandinavischen Völkern, in ihnen weiterlebten.

Es wird mit Zeichnungen eine Geschichte aus einem Tag bei Wikings zu Hause erzählt, in die Ausstellungsgegenstände eingebettet werden: Schmuck, Gebrauchsgegenstände. Waffen wie Schwerter, Äxte, Pfeile. Aber, nein, keine Hörnerhelme. Auch wieder ein Klischee, dem entgegengearbeitet wird: Die gehörnten Helme, mit denen man sich die Männer auf den Schiffen so gern vorstellt, waren eine Erfindung von Richard Wagners Kostümbildnern. Der elegante Wikinger trug im Kampf Lederkappen, selten auch mal Eisenhelme, aber immer ohne Horn. Gehörnte Männer leiden anders.

 

Wikinger waren mehr Bauern als Krieger

 

Gruslig genug waren sie dennoch anzusehen. Sie ließen sich die Vorderzähne abschleifen, auch, um zu beweisen, welch harte Jungs sie doch waren; die abgeschliffenen Zähne färbten sie dann: eine grimmige Dentaltattoomode. Dennoch waren sie nicht nur und nicht erstrangig Kriegsleute, sondern vor allem Bauern. Und Händler.

Orte wie Birka bei Stockholm und Haithabu bei Schleswig beweisen das. Haithabu: Eine 1066 untergegangene wuslige 1000-Einwohner-Stadt mit Werften und viel Geschäftigkeit, viel Handel. Wir sehen da beispielsweise ein mannsgroßes Weinfass, das sich erstaunlich gut erhalten hat: Die habituellen Biertrinker aus dem Norden waren also auch dem Rebentrunk nicht abgeneigt. Und auch Sklaven spielten eine Rolle im Geschäftsgebaren. Eine Frau kostete 200 Gramm Silber, so viel wie zwei Kühe, ein Mann - oder ein Pferd - 300.

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Und trotzdem ging’s jahrhundertelang zum Raub hinaus. Warum eigentlich? Die großen Wiking-Fahrten waren wohl nicht, wie lange gedacht, hohem Populationsdruck geschuldet, sondern gründeten wie menschliches Handeln eigentlich stets in Multikausalität: vielleicht Freiheitsdrang, sicher Abenteuerlust, bestimmt knallharte Habgier, auch Ruhmsucht. Machtverschiebungen in Europa luden zu den Zügen ein, wirtschaftliche Notwendigkeit in den zahlreichen Kleinkönigtümern in Skandinavien erzwangen sie wohl auch. Zugleich müssen sie - die langen, sonnenlosen Nordnächte, halbjährliche Feierabende am Feuer, laden dazu ein - große Erzähler gewesen sein, rühmten ihre Skalden, professionelle Künder artistischer Lyrik. Ihre Schwerter und Schiffe bekamen buntschillernde Namen, spielten auch in den Begräbnissitten eine wichtige Rolle.

 

Der Wikinger-Mythos lebt weiter

 

Von Lindisfarne und Stamford Bridge eingezäunt ist die große Zeit der Wikinger und ihrer expansiven Wucht. Danach traten sie als Räuber-Piraten ab und ein in die kollektive europäische Herrschaftsgeschichte, gezähmt auch von der Übernahme des Christentums, wie sie beispielsweise die Isländer bei einem Thing, einer Volksversammlung, im Jahr 1000 beschlossen. Auf einem „Göttersteg“ über der Ausstellungsfläche erfährt der Besucher mancherlei über ihren vorherigen Glauben, ihre Mythen und Weltuntergangsgedanken. Odin, Thor, Freya und die Midgardschlange, Menschenopfer, Walhall als Kämpferhimmel: eine archaisch und düster anmutende, aber auch, da nicht kodifiziert, gegenüber Glaubensvarianten sehr tolerante Religion.

Die Wikinger sind keine untergegangene Völkergruppe, lebten und leben weiter, nur unter völlig anderen politischen und kulturellen Vorzeichen. Und vor allem lebt der Mythos weiter. Der wiederaufgefrischt wurde im 19. und 20. Jahrhundert. Wikinger werden Werbeträger. Und auch – komplett ahistorische – Folie für Rassisten. „Die Form der Verehrung nordisch-germanischer Vergangenheit durch das Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist auch Nährboden für im Nationalsozialismus ideologisch überhöhtes Gedankengut“, schreibt Ute Drews im informativen Katalog.

Kuratorin Helmbrechts vertieft dort den Zusammenhang zwischen Wikingerseligkeit und Rechtsextremismus. Auch das gehört zur thematisierten Vielschichtigkeit der Schau. Mehr als 500 ausgestellte Originale auf 1500 Quadratmetern in Rosenheim, darunter erstmals im Landes zu sehende Objekte aus dem schwedischen Lund und aus dem Wikingerschiffsmuseum Roskilde, ein Wickie-Parcours für Kinder in den Außenanlagen inklusive Schiff aus der Verfilmung von Michael Bullig Herbig: Der Lokschuppen hält seinen seit über 20 Jahren gewohnten Standard.


Bis 4. Dezember, Mo-Fr 9-18 Uhr, Sa, So, Feiertag 10-18 Uhr im Lokschuppen Rosenheim

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