"Wein und Sinnlichkeit": Der Rausch als Kult

Versuche, dich nie außerhalb deiner eigenen vier Wände zu betrinken", riet Jack Kerouac 1957 seinen Leserinnen und Lesern im Anhang seines bekanntesten Romans "On The Road". Damit befindet sich der Beatnik-Literat im grundsätzlichen Widerspruch zur Elite des antiken Griechenlands.

Dort verließ man seine vier Wände, um sich im Haus eines guten Freundes und gemeinschaftlich an alkoholischen Getränken zu berauschen. Das war seinerzeit der Wein, der im Verlauf eines solchen Symposions zu kultiviertem Gedankenaustausch genossen wurde.
Trinkgeschirr für Dionysos
Der vergorene Traubensaft ist Thema der Sonderausstellung der Staatlichen Antikensammlung "Wein und Sinnlichkeit", die ebenso nüchtern wirkt wie informativ ist. Gezeigt werden zum einen Gefäße, wie sie für die üppigen Trinkgelage benutzt wurden, aus der Münchner Sammlung, andererseits Fotos des Steirers Johannes Willsberger.
Er hat Details des reich verzierten Trinkgeschirrs für großformatige Abbildungen fotografiert. Fast wie ein einprägsames Markenzeichen grinst dämonisch ein Medusenhaupt in kräftigen Blau- unr Rottönen die Betrachtenden an. Man sieht Zecher beim Trinken, dargestellt auf eine Vase oder einer Trinkschale, oft sind Feiernde beim Tanz oder bei erotischem Tun zu sehen.Darüberhinaus beschäftigte den auf Food-Fotografie spezialisierten Künstler auch das, was dem Trinken vorausgeht.

Seine Bilder erscheinen auf dem ersten Blick wie abstrakte Malerei: Kalifornische Weinberge in der Nachmittagssonne sind grafisch strenge Kompositionen in grün und gelb, dann künden kühl hellblaue und schroff gezackte Eiszapfen vom bei Frost gelesenen, gehaltvoll süßen Eiswein oder eine tiefrote, von Blasen und Schaum bewegte Fläche ist eine Nahaufnahme vom Gärprozess der Barolo-Trauben.
Frauen waren nicht zugelassen, nur geschäftlich
Gemeinsames Trinken bedeutete nicht nur Geselligkeit, sondern auch die soziale Kontrolle über die Berauschten. Dennoch konnte es passieren, dass man übers Ziel hinausschoss - und sich erbricht, wie eine der Illustrationen auf einem Kelch anschaulich berichtet. Frauen waren grundsätzlich verboten, es sei denn, sie nehmen geschäftlich teil. Weibliche Festgäste waren also Hetären, die als professionelle Dienstleisterinnen als auf die Flöte blasende Schöne oder aber als Mänaden dargestellt sind.

"Mänade" und "Manie" haben den gleiche Wortursprung, und für das Manische wie für den Wahn war in der griechischen Götterwelt Dionysos zuständig. Der Sohn des Zeus war aber auch der Gott des Weines, der Lebensfreude und der Ekstase. Deshalb waren Symposien nicht zuletzt auch spirituelle Zusammenkünfte und froh gelaunte Gottesdienste. Natürlich ist Dionysos ein häufiges Motiv auf den Amphoren, Vasen, Bechern, Schalen und Tellern.
Lust und Lustigsein
Umgeben ist der Gott der Lust und des Lustigseins oft von seinem Gefolge, den Satyren. Die lärmige und auch gerne übergriffige Meute trägt nicht nur einen langen Schweif wie einen Pferdeschwanz und Hörner wie ein Ziegenbock, sondern auf manchen Bildern beeindruckende Erektionen. Und nicht zuletzt ist Dionysos der Gott des Theaters, wie wir es heute kennen.
Die vierteiligen und zwölfstündigen Festivals, bei dem drei Tragödien der religiösen und der politischen Bildung sowie eine beschwingte bis frivole Komödie der abschließenden Unterhaltung dienten, hießen "Dionysen". Ein Raum der Ausstellung ist daher für den Gott des Theaters reserviert. Vor dem Halbrund von Stufen des Amphitheaters ist ein Modell einer dem Schauspiel gewidmeten Anlage aufgebaut.
Direkte Linie von Rausch ins Theater
Das Bauwerk erscheint mächtig und doch elegant mit seinen Kolonnaden der Kulissengebäude und der kreisrunden "Orchestra", auf der die Tanzgruppe und der Chor auftraten. Hier hat die Götterwelt ihren Auftritt, wenn auch nur dargestellt von Schauspielern, die die jeweilige Maske tragen. Solche können ebenso betrachtet werden wie auch die auf den Exponaten abgebildeten Szenen aus dem Theaterleben.
Geöffnet ist die Schau am Königsplatz noch während des Oktoberfests, dem allerdings dem Bier geweihten größten Symposion der Welt in der Neuzeit.
Staatliche Antikensammlung, bis 20. Oktober, Di, Do - So,, 10 bis 17 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr