"Ways of Attaching" im Lenbachhaus: Auf Tuchfühlung

Faszinierende Wiederentdeckung: Rosemary Mayers Ausstellung "Ways of Attaching" im Lenbachhaus.
von  Roberta De Righi
Auf ihren Reisen besichtigte Rosemary Mayer viel alte Kunst wie etwa in Rom Gianlorenzo Berninis Verzückung der heilige Teresa, die sie dann auch prompt in ihr collagiertes Buch "Passagen" von 1976 eingearbeitet hat.
Auf ihren Reisen besichtigte Rosemary Mayer viel alte Kunst wie etwa in Rom Gianlorenzo Berninis Verzückung der heilige Teresa, die sie dann auch prompt in ihr collagiertes Buch "Passagen" von 1976 eingearbeitet hat. © 2022 The Rosemary Mayer Estate/Lenbachhaus

München - Blüte oder Körper, Leib oder Kleid? Die Kunst von Rosemary Mayer ist nicht figurativ und wirkt dennoch fast pulsierend lebendig: Sie schuf floral-flamboyante Formen und mal zarte, mal opulente textile Plastiken. Jetzt präsentiert das Lenbachhaus das wenig bekannte, höchst eigenständige Werk der New Yorker Künstlerin (1943-2014) in der Ausstellung "Ways of Attaching", kompakt und fast selbsterklärend kuratiert von Stephanie Weber.

Mit ihrer Kollegin Adrian Piper war sie eng befreundet, in den 60ern mit dem Architekten und Performancekünstler Vito Acconci verheiratet, und sie gehörte zu den Mitbegründerinnen des Frauen-Kunstraumes "A.I.R-Gallery" in Soho. Für eine US-Künstlerin der 1970er Jahre ist Mayers Werk erstaunlich manieristisch, für eine barocke Bildhauerin wäre es deutlich minimalistisch.

Die Altphilologin war begeistert vom bayerischen Barock

Mayer, die Altphilologie studiert hatte, war fasziniert vom Mittelalter, von der florentinischen Renaissance, vom römischen Barock - und seiner bayerischen Abwandlung. Mitte der 1970er Jahre ging sie für mehrere Monate auf ihre Grand Tour durch Europa - und kam dabei auch nach München. An Ostern 1975 besichtigte sie, wie sie in den Reisetagebüchern festhielt, begeistert u. a. die Asamkirche, St. Michael in Berg am Laim und den Dom. Sie reiste aber weiter, um das gesamte bayerische Rokoko von Johann Michael Fischer, den Asams und den Zimmermann-Brüdern zu studieren.

Und so theatralisch der jesuitisch geprägte Barock war - je mehr Effekt, desto mehr Wirkung hatte die Heilsbotschaft -, so sehr erinnern Mayers Arbeiten an Versatzstücke aus dem Theaterfundus, die ein staunenswertes Eigenleben entwickeln. "Unmögliche Skulpturen" heißt eine Serie mit Entwürfen, so kompliziert drapiert und verschlungen, dass sie absichtsvoll unrealisierbar waren.

Die "Galla Placidia" wirkt wie ein überdimensioniertes antikes Gewand

Ihre raumgreifende textile Plastik "Galla Placidia" wirkt wie ein überdimensioniertes antikes Gewand, aus dem die Figur entwichen ist. Sie ist benannt nach der gleichnamigen spätantiken Kaiserin und greift die Farben der vier Frauen in Pontormos Gemälde "Die Heimsuchung": helles Orange, Rosa, Hellgrün und tiefes Türkis. Mayers Skulptur aus transparenten Stoffen sieht aus, als hätte sie deren Kleider pars pro toto herausgehoben und skulptural in 3D aufbereitet.

Ganz anders die textile Wand-Arbeit "Hroswitha", die der mittelalterlichen Äbtissin und Dichterin Hrotswit von Gandersheim gewidmet ist: Ein wenig erinnert die kunstvoll in Bögen drapierten Stoffbahnen an Fahnen, in den Farben des Kaiserreichs.

Rosemary Mayer interessierte sich auch fürs Triviale

Ob wild gebauscht oder drall gespannt, in der abendländischen Skulptur wird das Gewand zum Ausdrucksträger. Das hat Mayer so fasziniert, dass sie sich in ihrem eigenen Werk auf die Textilien allein konzentrierte. Dabei wird das Objekt zugleich entmaterialisiert und abstrahiert sowie motivisch verdichtet.

In ihren späten Pastellzeichnungen werden dann aus den Blumen Körper: Die Serie der "Löwenmäulchen" etwa erinnert einerseits an Georgia O'Keeffe, aber die üppigen Blüten wirken auch muskulös wie die Leiber bei Michelangelo. Rosemary Mayers Absicht war es, sie ebenso monumental wie die Gestalten der Sixtina erscheinen zu lassen.

Aber sie interessierte sich auch fürs Triviale, für die Alltagskultur, und so wurde unter ihren Händen selbst ein Haufen zusammengebundener Stofffetzen zur Gestalt, etwa zum Modell einer Vogelscheuche. Ihr fabelhaftes Werk ist zwar voller kunsthistorischer Kenntnisse und Anspielungen, aber nie abgehoben. Rosemary Mayer schafft tatsächlich vielfältige Verbindungen und bleibt dabei - auch mit einer guten Prise Humor - sinnlich und nahbar.


Lenbachhaus München, bis 18. September, Di 10 bis 20, Mi - So 10 bis 18 Uhr

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