"Vive le Pastel!" in der Alten Pinakothek: Aus den Bildern blitzt das Leben
Man möchte selbst den Männern über die Wangen streichen. Dem noch pausbackigen Herzog von Berry und genauso dem Abbé Nollet in seiner lässig aufgeknöpften Soutane. Wie Samt und Seide wirkt deren Haut. Und dann ist da noch dieser natürlich frische Teint, der je nach Lichteinfall in unzähligen Farbnuancen schimmert. So wie die zarten Porzellantässchen aus den alten Manufakturen. Kosmetikkonzerne und Schönheitsfarmen könnten problemlos mit diesen Gesichtern werben - wären da nicht die grau gelockten Perücken, die Spitzenkragen und Häubchen.

Pastell-Porträts: Falten und Pusteln sind plötzlich keine Makel mehr
Man begreift sofort, weshalb Pastell-Porträts im 18. Jahrhundert gerade zur Zeit des flirrenden, beschwingten Rokoko unglaublich begehrt waren und ihre Malerinnen und Maler an den Höfen in ganz Europa umworben wurden. Selbst die überlange Nase des hageren Blauen Kurfürsten Max Emanuel ist so reizvoll wie auf keinem Ölgemälde. Genauso nimmt man Falten und Pusteln gar nicht unbedingt als Makel wahr, das zählt zu den erstaunlichsten Eindrücken, die einem die Ausstellung "Vive le Pastel" in der Alten Pinakothek beschert.
Zwanzig dieser herrlich pudrigen Porträts treffen hier aufeinander, das meiste aus den eigenen Sammlungen, doch das ist nicht selbstverständlich. Die höchst fragilen Bildnisse nehmen jeden Ortswechsel und überhaupt jede Bewegung übel. In diesem Fall ist es einer umfassenden Restaurierung - wie so oft finanziert von der Siemens Kunststiftung - zu verdanken, dass nun erstmals Pastelle aus dem Neuen Schloss Schleißheim neben denen der Alten Pinakothek sowie zwei schönen Beispielen aus dem Bayerischen Nationalmuseum hängen. In prächtigen Zierrahmen und hinter Glas.
Jeder Lufthauch löst Pigmente vom Papier
Ohne diese Abdeckung würden die Bilder rapide Farbe lassen. Das ist die Krux dieser erlesenen Kunst. Jeder Lufthauch löst Pigmente von Papier oder Pergament. Deshalb wird dieser Schutz nach Möglichkeit auch nicht abgenommen, und viele der Exponate besitzen noch historische Gläser mit allen Wellen und Luftbläschen. Aber das tut der Wirkung keinerlei Abbruch.
Im Gegenteil staunt man vielmehr über die Leuchtkraft der Farben, die weder durch einen Firnis noch andere vergilbende Fixierungen verändert werden. Wenn, dann sind sie durch den Lichteinfall verblasst wie der rote Ärmel des Charles de Berry oder der Mantel des Kurfürsten.
Max Emanuel verstand sich nicht nur als großer Feldherr, er hatte auch ein Händchen für Künstler und kurz vor 1700 als Statthalter der spanischen Niederlande in Brüssel Zugang zu angesagten Spitzenwerken wie den Pastellen Joseph Viviens (1657- 1734). Der konnte sich neben dem Superstar Hyacinthe Rigaud (Ludwig XIV. im Ornat) immer mehr behaupten. Auch, weil er die Pastellmalerei auf ein neues Niveau hob. Das zeigen bereits die frühen Porträts der Familie des französischen Dauphins. Das Spätwerk gipfelt schließlich in einem Naturalismus, der sich weder um eine Gesichtswarze noch um müde gewordene Augenlider schert - das Selbstbildnis Viviens mit Pelzmütze und Griffel zählt sicher zu den feinsinnigen Höhepunkten.
Wenn Damen zu elfenhaft schwebenden Göttinnen werden
Die Pastellmalerei ist freilich auch eine Domäne der Frauen. Ein Porträt von Rosalba Giovanna Carriera (1675-1757) gehörte zu den Must-haves der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Damen wurden unter ihren schnellen Stiften zu elfenhaft schwebenden Göttinnen mit leuchtendem Antlitz. Damit traf die Venezianerin den Nerv der Zeit und mit ihrer Geschwindigkeit auch die Bedürfnisse der Klienten, die anstatt ausgiebig vor der Leinwand zu sitzen lieber zum nächsten Pläsier eilten.
Pastellkreiden - Stifte aus Pigmenten und Füllstoffen wie Kreide, Kaolin oder Gips - lagen fertig im Kasten. Die Farbe musste also nicht erst angerührt werden wie bei der Ölmalerei. Und auch der langwierige Prozess des Trocknens fiel weg. Dennoch fertigten Maler wie Vivien und ebenso Maurice Quentin de La Tour (1704- 1788) zahlreiche Skizzen an. Letzterer hat übrigens mit seinen deutlich sichtbaren Strichen wiederum den Charakter eines Ölbilds in die Pastellmalerei geholt.

Da wird dann vor allem das Gesicht exakt ausgearbeitet, das Drumherum darf gerne ins Diffusere übergehen, wie man es etwa von van Dyck kennt. Und De La Tours Gesichter erzählen von Persönlichkeiten. Wer die über Newton meditierende Mademoiselle Ferrand mit ihren hellwachen, frechen Augen - eine hoch gebildete Salonnière - oder den dank einer Schenkung neu zugegangenen Jean-Baptiste Philippe (beide um 1750) betrachtet, meint, sofort eine Vorstellung vom Wesen der Dargestellten zu haben.
Den im Grunde entgegengesetzten Weg geht zur gleichen Zeit Jean-Étienne Liotard. Der Maler des berühmten Schokoladenmädchens interessiert sich für die Materialitäten der Oberfläche und blüht bei tollen Stoffen und mustern auf.
Das kann man in dieser überschaubaren Runde schön vergleichen, statt in die Breite geht die von Elisabeth Hipp kuratierte Ausstellung in erhellende Tiefen. Es muss nicht immer ein "100 plus X"-Parcours mit Werken aus der ganzen Welt sein. Im Fall der Pastelle wäre das sowieso nicht zu verantworten. Von der CO2-Bilanz ganz zu schweigen.
Den langen Kabinettsbereich am Anfang dann allerdings mit Malerei der Zeit aufzufüllen, irritiert eher. Auch wenn dieser Auftakt mit Bedacht konzipiert wurde. Es mangelt eben am Geld, zuweilen an einer gewissen Inspiration. Doch so lange der Oberste der Staatsgemäldesammlungen seine wichtigste Aufgabe im Schreiben von Büchern sieht, wird sich daran so schnell nichts ändern.
"Vive le Pastel!" - bis 23. Oktober in der Alten Pinakothek, Di - Mi 10 bis 20.30, Do - So bis 18 Uhr; ein famoser Sammlungsführer ist im Deutschen Kunstverlag (14,90 Euro) erschienen.
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