Interview

Urheberrecht in der Kunst: Venus hängt am Hosenbein

Der Modeschöpfer Jean Paul Gaultier schmückt mit Botticellis Meisterwerk Shirts und Hosen. Das sorgt an den Uffizien für Unmut – und kann teuer werden. Accademia-Direktorin Cecilie Hollberg hat damit Erfahrung.
von  Christa Sigg
Ein Schönling geht als Kitsch um die Welt: Michelanglos David gibt es in allen Größen und allen Farben.
Ein Schönling geht als Kitsch um die Welt: Michelanglos David gibt es in allen Größen und allen Farben. © Paolo Gallo Modena, P.IVA/imago

Modemacher lieben Kunst-Zitate. Ob das nun Hokusais Welle ist oder eines von Frida Kahlos Selbstporträts. Yves Saint Laurent hat gleich einen ganzen Mondrian aufs Kleid übertragen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden – wenn man vorher fragt. Jean Paul Gaultier scheint das verschwitzt zu haben, als er Sandro Botticellis Venus auf Hosen und Pullunder übertrug. Ein Betriebsunfall? Bei einem der bekanntesten Designer? An den Uffizien, wo die Schaumgeborene von 1485 beheimatet ist, will man das nicht hinnehmen. Und nun könnte es für Gaultier teuer werden. Die Rechtslage ist klar, meint Cecilie Hollberg. Die Direktorin der Galleria dell'Accademia hegt Michelangelos endlos reproduzierten David. Ein Anruf in Florenz.

AZ: Frau Hollberg, Michelangelos David scheint mit seiner Schleuder noch gut zu treffen.
CECILIE HOLLBERG: Das kann man so sagen. Mit dem David sind wir 2017 in den Streit ums Urheberrecht gezogen – und haben gewonnen. Das heißt: Das Museum, das ein Kunstwerk besitzt, hat auch das Copyright. Das war ein epochaler Sieg und zugleich ein Präzedenzfall für sämtliche Museen im Land.

 

Die Historikerin Cecilie Hollberg, Jahrgang 1967, aus dem niedersächsischen Soltau leitet sie seit 2015 die Galleria dell'Accademia in Florenz, die Michelangelos "David" beherbergt und zu den meistbesuchten Museen Italiens zählt.
Die Historikerin Cecilie Hollberg, Jahrgang 1967, aus dem niedersächsischen Soltau leitet sie seit 2015 die Galleria dell'Accademia in Florenz, die Michelangelos "David" beherbergt und zu den meistbesuchten Museen Italiens zählt. © Dario Garofalo

"Angebliche Unwissenheit ist bei Modelabels unglaubwürdig"

Und nun macht Uffizien-Direktor Eike Schmidt Gebrauch davon – und hat gleich einen berühmten Gegner.
Das ist an der Galleria dell'Accademia nicht anders. Wir haben viele Klagen am Laufen, zum Teil betrifft das noch bekanntere Modelabels und Unternehmen. Aber bei uns läuft das geräuschlos ab. Vor allem liegen bereits rechtskräftige Urteile vor. So weit scheinen die Uffizien noch gar nicht zu sein.

Ist die Sachlage nach italienischem Recht nicht eindeutig?
Vollkommen. Die Uffizien haben – laut Pressemeldung – eine "diffida" an Gaultier gesandt. Das ist erst einmal nichts weiter als ein böser Brief. Dem muss sich ein aufwendiges Verfahren anschließen, hoffentlich gelingt es ihnen, ein Urteil zu erwirken. Die Liste der Unternehmen, an die wir böse Briefe geschrieben haben, ist lang. Sie werden in einigen Fällen ignoriert. Kommt es dann hart auf hart, beteuern viele, sie wüssten nichts von einem Urheberrecht. Das ist gerade bei Modelabels unglaubwürdig. Kopieren Sie mal die Entwürfe von einer bekannten Marke, dann haben Sie sofort Heere von Anwälten am Hals.

"Nach dem Tod des Künstlers, geht das Urheberrecht auf den Staat über"

Nun sind 500 Jahre alte Kunstwerke Gemeingut.
Das ist ein berechtigter Einwand. Hier in Italien gibt es einen Kodex für Kulturgüter: Erlaubt ist die wissenschaftliche Nutzung der Abbildungen von Kunst, aber eben nicht die kommerzielle. Und bei Gaultier haben wir es ganz klar mit Letzterem zu tun. Es gibt immer wieder Unternehmen, die behaupten, sie würden damit nur die Kunst bekannter machen.

In Deutschland greift der Urheberrechtsschutz 70 Jahre lang nach dem Tod des Künstlers.
Das ist in Italien für Museen ein bisschen anders. Das Urheberrecht liegt für ein Kunstwerk bis zum Tod beim Künstler, wird dieses Werk jedoch in einem staatlichen Museum aufbewahrt, geht das Recht des Künstlers auf den Staat über. Und da ich in der Galleria dell'Accademia direkte Vertreterin des Staates bin, habe ich über das Copyright des Davids zu befinden und auch der anderen Werke Michelangelos, Peruginos oder Botticellis, die bei mir im Haus sind.

Dann haben Sie beim David ordentlich zu tun.
Ja, dem wird ein Schinken in den Arm gedrückt und sogar ein Maschinengewehr, und das ist würdelos. Der David ist die nationale Identifikationsfigur, das kann also nicht im Sinne Italiens sein. Abgesehen davon wird eine Ikone ausgebeutet, die der Staat bewahrt.

Nun steht der David in so ziemlich jedem Gartencenter, die T-Shirts hängen in unzähligen Souvenirläden.
Natürlich muss man da verhältnismäßig vorgehen, rechtliche Schritte sind immer ein immenser Aufwand. Wir gehen nicht durch die Gartencenter, und ich kann auch nicht jedem Kioskbesitzer in Florenz fünf Euro abknöpfen, weil er kleine Davids verkauft. Es geht um die Produktionen im großen Stil.

Hilfe! David und Venus im Souvenirladen.
Hilfe! David und Venus im Souvenirladen. © imago/stock&people

"Der Aufwand von Gerichtsverfahren ist enorm"

Verwenden Sie wie die Uffizien eine spezielle Software, die im Internet nach Produkten fahndet?
Da wir seinerzeit Pioniere beim Copyright waren, gehen bei uns kontinuierliche Hinweise ein. Im Übrigen haben wir unsere eigene Strategie, hängen das aber nicht an die große Glocke. Jedenfalls ist es gut, dass die Uffizien unserem Beispiel folgen.

Bei Botticellis Venus stehen 100.000 Euro im Raum. Kommt über das Copyright spürbar Geld in die Museumskasse?
Es ist eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle. Aber man muss schon auch den Aufwand sehen. Mir ist es wichtig, dass wir möglichst viele Gerichtsurteile zu ganz unterschiedlichen Fällen sammeln, um eine solide Rechtsbasis zu haben.

Trotzdem bekommen Museen über die T-Shirt-Träger eine schöne Gratis-Werbung.
Das sehe ich anders, denn die Hersteller stürzen sich doch immer nur auf die Highlights. David braucht keine Werbung, aber die Werbung braucht den David. Wären unsere wertvollen Goldgrund-Altäre auf dem T-Shirt, würde das sicher keiner kaufen!

Alles Kunstwerke werden auf besondere Art und Weise präsentiert

Aber der David spült Ihnen die Leute ins Haus.
Ja, mit dem David haben wir Glück, das geht dem Louvre mit der Mona Lisa oder dem Rijksmuseum mit Rembrandts "Nachtwache" nicht anders. Der David ist meine einzige Kommunikations- und Marketingabteilung. Aber dieses Museum besteht eben nicht nur aus dem David. Deshalb habe ich mich darauf konzentriert, die anderen Sammlungsbereiche hervorzuheben und das Haus auf einen internationalen Standard zu bringen.

Sind die Sanierungen mittlerweile abgeschlossen?
Ja! Das war bei laufendem Betrieb eine Herkulesaufgabe. Wir sprechen von 3.000 Quadratmetern Museumsfläche, die von der Elektrik bis zu den Sicherheitsmaßnahmen saniert wurde. Zum ersten Mal gibt es im ganzen Haus Klimaanlagen. Hinter uns liegt der erste Sommer, in dem wir keine Räume wegen der unerträglichen Hitze schließen mussten.

Wie lenken Sie die Besucher weg von der Hauptattraktion - etwa hin zu den Goldgrund-Altären?
Wir haben jetzt LED-Licht im gesamten Haus. Wer die Situation vor der Renovierung kennt, kann sich nicht vorstellen, wie sehr die Werke nun zur Geltung kommen. Auch die Wände haben Farbe – bei Giotto ein zartes Salbeigrün. Der Goldgrund strahlt, und die Menschen bleiben plötzlich vor den Bildern stehen, nehmen sich Zeit beim Betrachten, das ist für mich das schönste Ergebnis. Am Montag haben wir den neuen Saal mit der Sammlung der Skulpturen und Gipsmodelle von Lorenzo Bartolini vorgestellt, dem bedeutendsten italienischen Bildhauer des 19. Jahrhunderts. Früher waren die Wände in tristem Beige, jetzt sind sie in Wedgwood-Blau, und damit sind diese Skulpturen förmlich zum Leben erweckt worden.

Immer mehr Besucher sind unter 25 Jahren alt

Nun haben Sie ein toll ausgeleuchtetes Museum, zieht das bei der Konkurrenz zu "Instagram-Tauglichem" auch ein junges Publikum an?
Wir nutzen diese Medien selbstverständlich auch. Aber mit intelligenten Inhalten. Unsere neue Homepage ist ein Ferrari mit unendlich vielen Inhalten und tollen Bildern. Man muss die Dinge auf vielen verschiedenen Ebenen vermitteln und ganz wichtig: einfach, aber nicht banal. Unsere Sammlungen werden auch durch Zeichentrickfilme erklärt, aber stets mit einem wissenschaftlich fundierten Drehbuch.

Geht die Rechnung auf?
Ja! Ich habe bemerkt, dass letzten Sommer auffallend viele junge Leute im Museum waren, aber nicht etwa Schulklassen. Das ließ ich dann genauer untersuchen mit dem Ergebnis, dass über 50 Prozent der Besucher unter 25 Jahre alt sind. Am Ende siegt die Qualität.


www.galleriaaccademiafirenze.it

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