Ulrich Wilmes über die Immendorf-Ausstellung

Das „Brandenburger Tor“ steht schon in der Mittelhalle. Das heißt, in der Version von Jörg Immendorff, der mit der mächtigen Bronzeskulptur Anfang der 80er Jahre auf die deutsche Teilung anspielte. Die ist Vergangenheit. Wie die Turbulenzen im Haus der Kunst. Die finanzielle Schieflage mag noch nicht ausgestanden sein, dafür ist die Stimmung spürbar gut. Und nein, das Interview, das Ex-Direktor Okwui Enwezor im „Spiegel“ gegeben hat (AZ vom 24. 8.), will hier niemand kommentieren. Man blickt zuversichtlich nach vorn. In zwei Wochen öffnet die lange geplante Immendorff-Retrospektive, mit der sich Chefkurator Ulrich Wilmes in den Ruhestand verabschiedet.
AZ: Herr Wilmes, bei Jörg Immendorff denken viele an Koks und Prostituierte, man könnte auch sagen, an die verzweifelten Exzesse eines todkranken Mannes.
ULRICH WILMES: Das ist leider so, gehört aber zu seiner Lebensgeschichte. Außerdem war Immendorff nie medienscheu und hat mit dem Boulevard immer gute Beziehungen gepflegt. Er durfte sich deshalb nicht wundern, dass seine Eskapaden breitgetreten wurden.
Welchen Immendorff wird man im Haus der Kunst kennen lernen?
Den ganzen! Die Motivation für die Ausstellung war ganz klar, Immendorffs Bedeutung als Maler herauszustellen. In dieser ersten großen Retrospektive seit seinem Tod im Jahr 2007 zeigen wir Werke aus allen Phasen der Karriere: von den ganz frühen Akademiebildern und den Lidl-Aktionen über die „Café Deutschland“-Reihe oder die großen Produktionen fürs Theater bis zum Spätwerk, das ich persönlich für sehr interessant halte.
Diese Meinung teilen nicht besonders viele.
Immendorffs Spätwerk ist aber wichtig, denn es war beeinflusst von seiner Erkrankung und der Tatsache, dass er im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr selbst Hand anlegen konnte. Das Spätwerk ist sehr konzeptuell, Immendorff ließ seine Ideen von Mitarbeitern umsetzen.
Immendorffs Gattin Oda Jaune spricht von acht Händen, die er statt der eigenen zwei bekommen habe.
Und hier wird es spannend. Donald Judd zum Beispiel hat keines seiner Objekte je selbst gemacht. Im Bereich der Skulptur ist das inzwischen ganz normal. Bildhauer und Installationskünstler dürfen ihre Arbeiten von Handwerkern ausführen lassen. Deshalb will ich nicht einsehen, dass es einem Maler verboten sein soll, die Bilder seiner Gedankenwelt von anderen umsetzen zu lassen. Immendorff wird sicher kein Werk autorisiert haben, das nicht hundertprozentig seinen Vorstellungen entsprochen hat. Für mich ist es völlig legitim, so zu arbeiten.
Diese späten Bilder unterscheiden sich stilistisch vollkommen von den „selbstgemalten“, es fehlt aber auch die politische Dimension.
Dennoch war Immendorff bis zuletzt ein sehr politischer Künstler, wobei für mich jeder Künstler qua Funktion ein politischer Mensch ist. Natürlich hat sich Immendorff in jungen Jahren ganz explizit mit politischen Themen befasst und im Laufe seiner Karriere dann eine jeweils andere Einstellung dazu gefunden. Die kann man tatsächlich an seiner Malerei ablesen.
Wie wichtig war sein Lehrer Joseph Beuys?
Die Beziehung ging über ein Lehrer-Schüler-Verhältnis weit hinaus. Immendorff empfand von Anfang an eine große Wertschätzung für Beuys, und umgekehrt hat der Lehrer den jungen Kollegen sehr unterstützt und übrigens auch die erste Galerie-Ausstellung in Düsseldorf vermittelt. Alfred Schmela wollte unbedingt Beuys ausstellen, doch der sagte nur unter der Bedingung zu, dass Immendorff zuerst gezeigt würde.
Diesen sehr wachen, widerborstigen jungen Künstler hat gerade die deutsche Teilung sehr beschäftigt.
Die Teilung wurde damals viel diskutiert, wer sich politisch engagiert hat, war damit dauernd konfrontiert. Und auch im Werk Immendorffs wurde das Thema im Laufe der 70er Jahre immer wichtiger. Dazu kommt 1976 der Besuch bei A. R. Penck in der DDR und die Freundschaft, die damals entstand. Mitte der 70er Jahre gab es ja auch eine starke Protestbewegung unter den Künstlern der DDR; das hat unter anderem zur Ausbürgerung von Wolf Biermann geführt. Mit all dem hat sich Immendorff intensiv beschäftigt und schließlich in der Reihe „Café Deutschland“ die adäquate Bildsprache gefunden.
Wie sehen Sie dann die Wandlung vom Autoritäten ablehnenden Agitprop-Maler zum „Staatskünstler“, der den Kanzler in Gold verewigt?
Im Laufe von vier Jahrzehnten hat sich Immendorffs Auffassung sicher auch verschoben. Wir alle durchlaufen solche Prozesse. Und wenn man Künstler ist, zumal in einer Gemeinschaft mit hoch gehandelten Kollegen, steigt der Wunsch, genauso erfolgreich zu sein. Immendorff hat seine politischen Überzeugungen sicher nicht über Bord geworfen, seine Haltung ist eher dieselbe widerständige geblieben – auch wenn er keine Agitprop-Bilder mehr gemalt hat.
Kommt Gerhard Schröder tatsächlich zur Eröffnung?
Ja, er war letztes Jahr schon einmal hier und hat uns seine Unterstützung bei dieser Retrospektive zugesichert. Auch sein Porträt wollte er aus dem Kanzleramt für die Ausstellung zur Verfügung stellen, aber nun haben wir es gar nicht dazu genommen.
Warum nicht?
Es hat nicht ins Konzept gepasst. Und es fällt ja auch aus dem Gesamtwerk heraus.
Immerhin ist es sehr ironisch.
Wir alle wissen um das enorme Selbstbewusstsein Gerhard Schröders. Ob das nun so weit geht, sich als römischer Imperator zu sehen, weiß ich nicht. Mit Sicherheit steckt da Ironie drin, und das würde für beide sprechen. Fast mehr noch für den Porträtierten.
Die Ironie ist ein wichtiger Punkt im Werk Immendorffs.
Sonst wäre es auch schwer erträglich.
Übertüncht er damit seine romantische Seele?
Die Ironie ist eines von mehreren Stilmitteln, mit denen Immendorff seine romantische Seele verhüllt. Für mich sind auch Richter und Baselitz Romantiker. Aber das ist bisher nur eine These, der ich irgendwann einmal gründlich nachgehen möchte.
„Jörg Immendorff. Für alle Liebe dieser Welt“, ab 14. September im Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, hausderkunst.de