Lokschuppen Rosenheim: Heldinnen und Helden von Odysseus zu Sophie Scholl

Fragen kann man ja mal. Was ist denn das eigentlich: ein Held? Eine Heldin? Was macht so ein Wesen aus? Ein wirkliches, ein erfundenes? Fragen kann man ja mal. Es stellen sich viele Fragen in der jetzt angelaufenen, wunderbaren Schau mit dem Titel "Heldinnen & Helden" im Lokschuppen Rosenheim.
Da entfaltet sich ein Abenteuerspielplatz, ein Figurenparcours, ein Fragezeichengarten voller Nachdenkangebote über das Heldentum, den Heldenmut, das Heldische schlechthin. Im Krieg, im Sport, im Widerstand; das Wohnzimmer vom "Big Lebowski", die Boxhandschuhe von Muhammad Ali, Orden vom Speicher; Sophie Scholl, Obi-Wan Kenobi, Bastian Schweinsteiger: Alles Helden? Alles heldisch?
Mal schauen: Erst mal fraglos und ohne Antworten rein in diese Ausstellung, die ein Wirbelwind ist der modernen Präsentationsmöglichkeit von Exponaten, Objekten, Fotos, Filmausschnitten, Möglichkeiten, das alles möglichst lebendig zu machen, ihr Betrachten als Einladung zu betrachten.

Gleich zu Beginn eine große Zahl an Spiegeln zur zwangsläufigen Selbstbetrachtung und hier und da schon kleinen Selbsteinordnungsangeboten: Bin ich eine Heldin im Vergleich zu - Mutter Theresa? Könnte aus mir unter bestimmten Umständen ein Held werden? Man weiß es ja nicht. Manchmal kommt es auf die Umstände an. Was macht dann also Heldentum aus?
Schönheit vielleicht, Kraft? Stärke? Rums, schon steht da ein riesiger Kraftprotz im Weg, ein Herkules Farnese, eine in der Antike ungemein beliebte Figur, nackt und bärtig und bärenstark, 3,40 Meter hoch, Nachbildung einer in Neapel stehenden Statue: So kann man sich den schon mal vorstellen, den Kämpfer, der als Säugling schon Schlangen erwürgt und als Kerl dann alles niederringt, was sich ihm in den Weg stellt.
Laut Duden: Mann kühn, Frau opfermütig
Und schon stellt die Ausstellung weitere Fragen daneben, weil: Sind Männer anders heldisch als Frauen? Der Duden an der Wand sagt: Mann kühn, Frau opfermütig. Naja. Auch solche Vorstellungen müssen zu überprüfen sein; im Lokschuppen wertet man nicht, sondern zeigt. Im Hintergrund der Ausstellung: geballtes historisches Wissen der Kuratorinnen und Kuratoren. 2,4 Millionen Euro Investitionen, 351 Exponate, darunter 192 Originale, darunter wieder so Sachen wie das originale Bühnenbildmodell zur Uraufführung der Wagner-Oper "Parsifal" im Jahr 1882 am Bayreuther Festspielhaus. Oder ein Film-Batmobil aus den USA, von einer aufgeregten Lokschuppenleiterin Jennifer Morscheiser persönlich an Ort und Stelle gelenkt, wie sie erzählt.

Mit dem Mobiltelefon auf Heldenreise
Neben den Exponaten gibt es 69 Medienstationen. Darunter ein 30 Meter langes Gemälde von Julian van Dieken, mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz extra für die Ausstellung erstellt. Zudem kann mit dem Mobiltelefon durch die Ausstellung auf Heldenreise gehen, eine Rolle annehmen, Abenteuer bestehen, Aufgaben lösen.
Abenteuer bestehen, Aufgaben lösen: Das eben müssen Heldinnen und Helden tun. Um zu solchen zu werden, braucht es nicht nur ihre Taten, sondern auch: Erzählungen davon. Da nutzt ja das ganze schöne Heldentum nichts, wenn nicht darüber berichtet wird. Das war schon in der Antike so. Beim Homer. Und das geht über Dichtungen wie das Nibelungenlied und all dem, was Richard Wagner und später die Nazis daraus gemacht haben, über Superman bis zu heutigen Medien- und Deutungskonflikten.
Die Uniformjacke, die Tom Cruise trug
Ist die Umweltaktivistin Greta Thunberg eine heutige Heldin? Der Football-Spieler Colin Kaepernick, der sich gegen den Rassismus in seinem Land gewendet und sich beim Abspielen der Nationalhymne sich demonstrativ hingekniet hat? Ist es der unbekannte Mann in China, der "Tank Man", der sich 1989 am Platz des Himmlischen Friedens vor anrückende Panzer stellte? Die Frauen im Iran, die ohne Kopftuch demonstrieren?

Märtyrer setzen ihr Leben heldenhaft ein, Wissenschaftlerinnen wie Marie Curie vergiften im Forschungsdrang den eigenen Körper mit Strahlung. Forscher wie Ernest Shackleton gehen an Grenzen; Expeditionsschuhe und Schneebrille sind zu sehen, spürbar sind die unglaublichen Strapazen, die er auf sich genommen hat, um seine Mannschaft zu retten. Immer untermalt von dramatischer Musik, macht die Ausstellung unentwegt Angebote, sich einzuspüren: der wenige Raum, den Nelson Mandela in seiner Zelle hatte. Die Uniformjacke, die Tom Cruise trug, als er im Film "Operation Walküre" den gescheiterten Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg spielte. Er und andere sind sicherlich große Menschen heldischen Widerstands: Stauffenberg. Weiße Rose. Georg Elser.
An vielen Dutzenden von Angeboten an Heldinnen und Helden passiert man da im Lokschuppen auf 1500 Quadratmetern vorbei. Und immer dabei die Frage: Was definiert Helden? Schönheit hatten wir schon, Stärke, Widerstandskraft. Tugend bietet die Ausstellung auch an. Manchmal genügt es schon, seinen Job zu tun: In Coronazeiten sind Ärztinnen, Pfleger, Krankenschwestern plötzlich zu wahren Helden aufgerückt.
Aus Helden werden Diktatoren
Nur werden da im empfehlenswerten Katalog zur Ausstellung, der das Thema gut vertieft, gleich Abstriche gemacht: "Da werden Tätigkeiten und Anforderungen überhöht, anstatt diese Menschen vernünftig zu entlohnen", so Thomas Fortner aus dem Kuratorenteam. Inhalt von Heldentum ändert sich permanent in einer sich verändernden Welt. Plötzlich ist es für viel mehr Menschen als noch vor ein paar Jahren denkbar, dass Soldaten Helden sind. Zugleich kann die Sehnsucht nach Helden schnell umschlagen in diktatorische Herrschaft. Ein Batman ist als Träger von Gewalt völlig außerhalb von Recht und Gesetz.

Kaum ein Held ist auch ein Heiliger. Der Prozess der Heroisierung ist also sehr dynamisch, die Parameter der Heldenerzählung sind veränderbar. Aber es gibt einige Punkte in solch einer Erzählung, die sind gesetzt und der Menschheit eingeschrieben. Und hier macht die Ausstellung noch einmal eine Wendung, indem sie die Besucher auf eine klassische Heldenreise führt. Es war der Amerikaner Joseph Campbell, der weltweite Mythologien erforschte und dabei auf eine immer wiederkehrende Erzählstruktur stieß. Die bis heute gilt. Was schon Homer beherzigte, findet sich wieder in den "Star Wars"-Geschichten und bei Harry Potter: die ganz klassische Heldenreise.
17 Stationen hat Campbell herausgearbeitet, einige davon übernimmt die Ausstellung. Eine Heldenreise beginnt mit der plötzlichen Berufung nicht selten eines Außenseiters. Danach kommen erst einmal eine Weigerung, der Berufung zu folgen, die übernatürliche Hilfe durch einen Mentor und das Überschreiten der ersten Stufe: der Beginn der Reise. Auf ihr kommt es zu Versuchungen, Prüfungen, Flucht, Rettung bis hin zur Rückkehr ins normale Leben, geläutert und geehrt.
Neue Antworten
Eine vielschichtige Reise für Heldinnen und Helden also im Lokschuppen Rosenheim. Wenn man alles sehen und genießen will, muss man ordentlich Zeit mitbringen. Der Begriff "Held" wird derzeit - vor allem in der Werbung - gerade sehr inflationär gebraucht: Wie angenehm, dass man jetzt einmal genauer auf ihn schauen kann. All die Fragen mitnehmen, die da gestellt werden. Und vielleicht sogar ein paar neue Antworten gewinnen.
bis 15. Dezember, Lokschuppen, Rathausstraße 24, Rosenheim, Mo-Fr, 9-18 Uhr, Sa/So, 10-18 Uhr, www.lokschuppen.de