Ton, Bilder, Scherben: Die 56. Biennale in Venedig
Venedig - loschüsseln und Scherben, ausgerupfte Bäume und ausgediente Flaggen – die Länderpavillons der Biennale sind schon lange zu Sammelsurien und ethnografischen Rumpelkammern mutiert – oft genug der kuriosen Art. Leider meinen einige Nationen, die größtmögliche Originalität herkrampfen zu müssen, koste es, was es wolle. Erfreulich, dass langsam wieder der Trend zum „aufgeräumten“ Haus geht.
Wunderbar entspannt – weil im Grunde leer – ist es bei den Österreichern. Dort hat der Künstler Heimo Zobernig den 1934 von Josef Hoffmann entworfenen Pavillon mit einem Einbau im kühl-klaren Stil eines Mies van der Rohe kombiniert. Vielleicht liegt’s ja am Rummelplatzgeschiebe in den Giardini, aber man würde hier gerne etwas länger verweilen. Ganz in der Nähe hat Ivan Grubanov den ehemals jugoslawischen und jetzt serbischen „Stützpunkt“ in einen ziemlich farbigen Friedhof verwandelt: Die Flaggen dahingeschiedener Staatssysteme – von Südvietnam (1955-1975) bis zur Sowjetunion (1922-1991) – liegen am Boden und bluten ihren letzten Farbglanz aus. Ein Memento mori der politischen Art.
Tausende von Schlüsseln hat Chiharu Shiota gesammelt und sie mit einem Netz aus roten Fäden verknüpft. Das zieht sich durch den gesamten japanischen Pavillon. Der Sinn? Diese Schlüssel tragen die Geschichten ihrer ehemaligen Besitzer und sie können Türen zu unbekannten Welten öffnen, meint Shiota. Sie unterschlägt, dass auch das Gegenteil der Fall sein kann. Aber die raumfüllende filigrane Wolke über zwei Booten, die in die Vergangenheit führen sollen, geben ein eindringlich poetisches Bild ab. Bei solchem Augenbalsam will man gar nicht so kritisch sein. Die Biennale steht unter dem Motto „All The World‘s Futures“ und setzt sich laut Kurator Okwui Enwezor besonders mit den Krisen und Verwerfungen unserer Zeit auseinander. Parallel dazu haben die Belgier ihre Kolonialgeschichte aufgearbeitet, hart und schmerzlich. Nebenan im holländischen Pavillon riecht’s dagegen nach Rosen.
Wurzeln, Steine, Abfall: Mehr braucht's nicht für eine Erzählung
Das Lebenswerk des im Fränkischen lebenden Zero-Veteranen Herman de Vries (84) wird hier mit objéts trouvés, Fundstücken, gewürdigt: Wurzeln, Steine, auch Abfall – passend zu Venedig sind das Scherben aus Muranoglas. Alles exakt drapiert, so wie das riesige runde Streu-Bouquet getrockneter Moosröschenknospen. Mehr braucht’s nicht, um eine Erzählung in Gang zu bringen. Allerdings besteht auch latente Kitschgefahr. Objekt-Künstlerin Sarah Lucas ist für abgefahrene Ideen gut, und also steigt man erwartungsfroh die Treppe zum britischen Pavillon hinauf. Doch Lucas‘ weiße weibliche Kunststoff-Unterleiber, in deren Öffnungen Zigaretten stecken, sind so anziehend wie ein Aschenbecher voll abgerauchter Fluppen. Da war Jeremy Dellers ironiegetränkter Humor vor zwei Jahren schon von anderem Kaliber.
Wenige Schritte weiter lockt Céleste Boursier-Mougenot reihenweise Besucher in den französischen Pavillon. Dort liegen sie in den Nischen, betäubt von sphärischen Klängen, die irgendwie mit den Elektrolyten des Safts der in der Mitte platzierten Pinie samt Wurzelballen zu tun haben. Mehr will man gar nicht wissen über das Wellnessgedudel in der immerhin optisch anziehenden Kunstmassagepraxis.
Bei solchen Nachbarn hat Kurator Florian Ebner leichtes Spiel mit seiner „Fabrik“, zu der er den in verschiedene Ebenen aufgeteilten deutschen Pavillon umfunktioniert hat. Seine fünf Künstler schürfen tief, das Ergebnis ist aber keineswegs verquast. Im Obergeschoss fächert Tobias Zielony in einer Langzeit-Fotoreportage Migrantenschicksale auf, deren Bilder er in den entsprechenden Heimatländern wie Nigeria oder Sudan publizieren ließ – re-immigriert hängen sie nun an der Wand oder liegen in Zeitungsstapeln vor uns. Ein feiner Dreh, der nebenbei am Image der hiesigen Medien kratzt.
Direkt darunter, in der futuristischen Disco-Kino-Lounge der Münchner Filmemacherin Hito Steyerl, saust man durch virtuelle Knaller-Baller-Welten. Was ist Nachricht, was Spiel? Doch Steyerl wäre nicht Steyerl, hätte ihre Cybershow nicht den bitteren Geschmack der realen Kriegsspielereien von Politik und Militär. Nebenan, im nächsten dunklen Raum, erzählt das in Kairo lebende Künstlerpaar Jasmina Metwaly und Philip Rizk etwas rührselig von der Abwicklung einer ägyptischen Fabrik. Und oben auf dem Dach schießt Olaf Nicolai den Vogel ab: Dort werden Bumerangs hergestellt, die man hin und wieder durch die Luft eiern sieht. Denn was man in die Welt schickt, kommt zurück. Hundertprozentig.
Infos zur Biennale
Die 56. Biennale von Venedig dauert bis zum 22. November. Etwa ein Drittel der Länderpavillons sind in den Giardini, das zweite in den Hallen des Arsenale. Die restlichen Länderpavillons verteilen sich über die ganze Stadt. Info: www.labiennale.org