Schrille Ausstellung: Alte Meister im LSD-Rausch
Botticellis Venus ist ziemlich angefressen. Nicht etwa, weil sie seit über 500 Jahren bis zum Gehtnichtmehr begafft wird. Das gehört zum Berufsrisiko einer Schönheitsgöttin. Sondern weil viele winzige Tierchen über sie hergefallen sind. Genauso geht es dem bäuchlings "Ruhenden Mädchen" auf seinem Kanapee. Das Mätressen-Dasein in den Gemächern Ludwigs XV. dürfte sie sich weniger farbspektakulär vorgestellt haben. Man könnte fast meinen, François Boucher, ihr Maler, hätte LSD oder "magic mushrooms" zu sich genommen.
Pilze sind zwar nicht im Spiel, aber Bakterien. Der Künstler Wolfgang Ganter impft Fotos mit sehr unterschiedlichen Kulturen, mittlerweile weiß er, in welche Richtung es dann geht. Dass dafür viele Anläufe nötig waren, demonstriert der mächtige Berg Dias hinter der Venus. Alles Ausschuss, missglückte Versuche sozusagen, die das Bild jetzt abstützen. Umgeben von den Gips-Kolleginnen der Abgusssammlung vermittelt die Venus im Haus der Kulturinstitute einen ersten Eindruck von der schräg-schrillen Kunst Ganters.
Die eigentliche Schau befindet sich einen Stock höher in den Gängen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, also im Dunstkreis all der Bilderforscherinnen und Wissenschaftler, die den alten und neuen Meistern gerne mal ans Eingemachte gehen. Nun sorgen Bakterien für solche Einblicke, etwas andere zwar, aber durchaus interessante. Ganter, der in Karlsruhe bei Andreas Slominski und Anselm Reyle studiert hat, spricht von "Works in Progress", wenn sich die Kleinstarbeiter durch die Gelatineschicht beziehungsweise die Fotoemulsion fressen und auf diese Weise beträchtliche Veränderungen bewirken.
Dann entstehen Flecken, die im Fall des von Albrecht Dürer verewigten Oswolt Krel an den Goldregen einer Danae erinnern. Das passt natürlich insofern, als der Lindauer Kaufmann um 1500 die einflussreiche Ravensburger Handelsgesellschaft geleitet und höllisch viel Geld umgesetzt hat. Ganter zielt nicht auf solche Ergebnisse, das macht die Sache etwas zu willkürlich, auf der anderen Seite sieht man die oft allzu bekannten Schinken - meistens wurden sie in der Alten Pinakothek fotografiert - doch wieder neu.
Die Ergebnisse changieren zwischen irren Zutaten wie einer ins Unermessliche gesteigerten Powerwolke, auf der Guido Renis Maria fast in den Himmel geschossen wird, bis hin zu Fehlstellen. Das Schweißtuch der heiligen Veronika (um 1425) zeigt normal das Antlitz Christi, jetzt gucken die kleinen Engel mit Recht verdutzt, weil außer weißen Punkten nichts mehr zu sehen ist.
Unwillkürlich muss man an die endlosen Weiten des Weltalls mit seinen Sternen denken, und sich ein Bild zu machen, selbst vom Menschensohn, ist ja nicht im Sinne des Erfinders. Die Physiognomie mag fehlen, doch die Leerstelle für die eigene Fantasie wird nun von knallbunten Strahlen umringt. Das wäre bereits das nächste christliche Hoheitssymbol, die Mandorla, und so kann man die Gedanken lange weitertreiben. Oder überlegen, ob in der Rokokomalerei wirklich derart verrückte Farben verborgen sind, wie sie nun überm Popo von Bouchers Mädchen schweben.
Den Umkehreffekt gibt es freilich auch: Auf Botticellis später "Beweinung Christi" leuchten Feuerrot und Safrangelb um die Wette. In Ganters Ergebnis regiert rostrote Soße.
Über seine Bakterien mag er nichts sagen, das sei Betriebsgeheimnis, gibt aber zu, dass der Prozess oft über Monate dauert. Manchmal stellt Ganter sich nachts den Wecker, um zu kontrollieren, ob seine Mitarbeiter schon da angekommen sind, wo er sie stoppen bzw. ihr Terrain trockenlegen muss. Und manche bleiben brav in ihrem Zirkel, während sich andere wiederum sprunghaft bewegen.
Nach der Bakterien-Prozedur werden die Dias durchs Mikroskop abfotografiert, dann setzt Ganter aus unzähligen Bildern ein großes zusammen, das im Echtpigmentdruck einiges hermacht. Eine finale Kunststoffschicht beschert dem Ganzen noch eine leicht räumliche Wirkung.
Selten wird in Ausstellungen so ausgiebig gegrübelt und diskutiert, der Kuratorin Christine Tauber ist damit ein Kunstkniff gelungen. Wobei die "bloß" auf weißem Grund agierenden Bakterien zu den schönsten Ergebnissen führen.
Haus der Kulturinstitute München, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Katharina-von-Bora-Str. 10, bis 28. Juni Montag bis Freitag 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei
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