Streit um Raffael-Bild im Städel: Diskussion erwünscht, Ton verfehlt
Vor rund einem Jahr präsentierte das Frankfurter Städel-Museum der Fachwelt eine „sensationelle“ Neuerwerbung: einen Raffael. Ein Bildnis von Papst Julius II., gemalt 1511 oder 1512. Das Gemälde war keine Dachboden-Entdeckung, es war bekannt, galt bis dahin aber als Kopie. Das Städel kaufte das Bild „deutlich unter Marktwert“ und präsentiert es seither als Werk von „Raffael und Werkstatt“ an zentraler Stelle des Museums.
Ein Jahr später tobt ein erbitterter Streit um die 106 mal 78 Zentimeter große Pappelholz-Tafel, der Züge einer Schlammschlacht trägt. Auslöser war ein Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“, in dem „namhafte Renaissance-Experten“ behaupten, das Bild sei „nicht der Rede wert“, der Ankauf „ein Skandal“, das Städel riskiere seine Glaubwürdigkeit. Namentlich zu diesen Aussagen bekennen wollte sich bisher allerdings niemand.
Mindestens bis Winter nächsten Jahres wird die Debatte anhalten. Im November 2013 eröffnet das Städel eine Ausstellung, in der verschiedene Fassungen des Julius-Porträts nebeneinander hängen. Spätestens dann kann sich die Fachwelt ein Urteil bilden über den Stellenwert des Städel-Bildes. Sicher nach Frankfurt kämen zwei Versionen aus Italien, sagte Sammlungsleiter Jochen Sander am Dienstag der dpa. Das – als bedeutendste Fassung geltende – Londoner Bild darf wahrscheinlich aus konservatorischen Gründen nicht reisen.
„Dass diese Diskussion auf uns zukommt, war uns bewusst“, sagt Städel-Direktor Max Hollein. „Aber wir hoffen, dass sie nicht in diesem schrillen Ton weitergeführt wird.“ Auch ein Jahr nach dem Ankauf steht Hollein zu der Entscheidung von damals. „Wir haben eine klare Position und gute Argumente dafür.“ Eines der Argumente: Beim Röntgen war eine Unterzeichnung zu sehen, in der der Papst seine Rechte zur Segensgeste erhebt. Im fertigen Gemälde hält er ein Taschentuch. Hätte ein Schüler ein Raffael-Original kopiert, argumentiert Sander, der das Bild vor dem Ankauf mehr als zwei Jahre untersucht hat, hätte er wohl kaum ein so entscheidendes Detail eigenmächtig verändert.
Zuschreibungsfragen sind gerade beim Spätwerk Raffaels schwierig, sagt der Düsseldorfer Joachim Jacoby, der gerade im Städel eine Ausstellung mit Zeichnungen Raffaels kuratiert hat. Der Maler hatte auf dem Höhepunkt seiner Karriere so viele Aufträge, dass er sie nur mit Gehilfen bewältigen konnte. „Das hat zur Folge, dass wir oft nicht mit Sicherheit sagen können, was ist Meister und was Schüler.“ Gerade Herrscher-Porträts seien darauf angelegt gewesen, vervielfältigt zu werden, sagt Sander. Die Frage, welchen Anteil Raffael an welcher Fassung hatte, dürfe und müsse daher stets neu diskutiert werden. Anonyme Quellen und Zeitungsartikel seien jedoch „nicht der richtige Weg, diese extrem komplexe Diskussion zu führen.“
Die Forderung, das Städel hätte das Bild zuerst vor Ort mit anderen Fassungen vergleichen müssen, hält Sander für „unrealistisch.“ Vielleicht hat sich das Städel bei seiner Entscheidung für den Ankauf ja auch an Johann David Passavant erinnert, Sammlungs-Inspektor am Städel um 1850 und Verfasser der ersten Raffael-Monografie. Er kaufte für einen Spottpreis eine Zeichnung, „nur, weil sie ihm gefiel“, wie Sammlungsleiter Martin Sonnabend erzählt – im 20. Jahrhundert wurde die Zeichnung Raffael zugeschrieben.