Stadtmusem zeigt Korneev: Auf der Suche nach Spektakel
München - "Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen", dichtete Matthias Claudius. Er kann aber auch, wenn er das kann, zeichnen, dokumentieren - und wichtige Informationen so der Nachwelt hinterlassen.
Emel'jan Korneev wurde an der Petersburger Akadmie ausgebildet
Der an der Petersburger Akadmie ausgebildete russische Künstler Emel'jan Korneev (1780 - ca. 1843) entschloss sich für letzteres. Er bereiste die Welt wie kaum ein anderer und hielt seine Eindrücke von Menschen, Landschaften, Architekturen in unzähligen direkt vor dem Objekt angefertigten Zeichnungen fest.
Vieles davon ist verschollen oder vernichtet, da sein Atelier mitsamt den unwiderbringlichen Werken 1824 in einer Sturmflut in St. Petersburg überschwemmt und zerstört wurde. Das ist auch ein Grund, weshalb der Künstler außerhalb Russlands - wo er nach wie vor einen hohen Bekanntheitsgrad hat - so gut wie vergessen ist.
Ausstellung "Grand Tour XXL - Der Reisekünstler Emel'jan Korneev" in München
Das Stadtmuseum in München besitzt in den Depots der Sammlung Grafik und Gemälde ein über 50 großformatige Blätter umfassendes Konvolut an Aquarellen, Feder- und Bleistiftzeichnungen. Das Deutsche Archäologische Institut in Berlin hat ebenfalls viele Blätter. Aus diesen Stücken komponierte das Stadtmuseum nun die sehenswerte Ausstellung "Grand Tour XXL - Der Reisekünstler Emel'jan Korneev", die speziell seine Kreationen aus Griechenland und Italien in den Mittelpunkt rückt.
Bildungsreisen haben als Kavalierstour in der Renaissance angefangen
Eine Grand Tour nach Italien war bis weit ins 19. Jahrhundert für Künstler aller Couleur eine obligatorische Bildungsreise. Angefangen hat das ganze in der Renaissance als sogenannte Kavalierstour, welche die Söhne (und ganz vereinzelt auch: Töchter) des europäischen Adels, später auch des gehobenen Bürgertums, in die kulturell so bedeutenden südlichen Gefilde des Abendlands führte.
Korneev hatte wohl ursprünglich keine Tour im bildungsbürgerlichen Sinne auf dem Schirm. Er bereiste 1802/03 zuerst in einer vom Zaren beauftragten Expedition das gesamte russische Imperium und kam bis ans nördliche Ende Sibiriens, nach Lappland, an die südöstliche Grenze zu China, auf die Krim. Überall dort dokumentierte er die traditionellen Kostüme, Trachten, folkloristische Szenen.
Von Krimtataren bis zu Nenzen in Festtagstracht am Eismeer ist alles dabei
Diese Werke seiner Russland-Expedition wurden in zwei Prachtbänden vom bayerischen Grafen Carl von Rechberg 1812/13 in Paris unter dem Titel "Les Peuples de la Russie" veröffentlicht. Sie sind in der Ausstellung als Videoprojektion zum Durchblättern zu sehen: Von Krimtataren bis zu Nenzen in Festtagstracht am Eismeer ist alles dabei.
So kam auch das Italien-Konvolut, das einst dem Grafen gehörte, ans Stadtmuseum. Als Korneev die Bände mit Rechberg plante, dürfte er auch mindestens einmal in München gewesen sein - und dort seine Italienschätze ausgebreitet haben, die es Rechberg angetan hatten.
Und da mag man sich kaum sattsehen: Der Markusplatz, Venedig, hinter dem Bacino di San Marco in der Zeit der napoleonischen Kriege, ein Blick auf Ischia Ponte und das Castello Aragonese oder - ganz spektakulär - ein Blick in den Schlund des Vesuv wenige Tage vor dessen dramatischem Ausbruch am 12. August 1805, den Korneev freilich ebenfalls mit Feder, Pinsel, Sepiatusche auf Papier bannte. Ebenfalls zu sehen: die phlegräischen Felder, Paestum, Tivoli, Neapel.
Korneev bereiste Italien sozusagen spontan
Bereist hat Korneev Italien sozusagen spontan. In Fortsetzung der Russland-Reise setzte er von der Krim nach Konstantinopel über, bereiste Kleinasien und das damals osmanische Griechenland. Auch dazu sieht man viele Zeichnungen - etwa den Parthenon oder die Grotte von Antiparos. Während der Reise entschloss sich der Künstler ein Reisestipendium einzulösen, das er für seinen mit Goldmedaille dekorierten akademischen Abschluss erhalten hatte.
Von Korfu setzte er nach Italien über. Diese Reise, die auch aus Gründen der Kriege strapaziös war, scheint bei Korneev keine Abneigung sondern eher Lust auf mehr ausgelöst zu haben. Zwischen 1819 und 1821 nahm er an einer Weltumsegelung teil. Die Arbeiten dieser Reise sind allerdings ebenfalls verschollen.
Räumlich teils eingebunden in die Korneev-Ausstellung sind die fotografischen Werke von Jonathan Danko Kielkowski (geb. 1988), der mit der Forums-Ausstellung "Ästhetik des Wandels" vorgestellt wird. In Spitzbergen nahm er eine verlassene Bergbausiedlung auf. In der Serie Concordia dokumentierte der ebenfalls sehr abenteuerlustige Fotograf das havarierte Kreuzfahrtschiff Costa Concordia - verbotenerweise. Nachdem er tagsüber von der italienischen Küstenwache zurückgeschickt worden war, schwamm er nachts mit Fotoausrüstung zum Schiff, drang ein - und machte seine unglaublichen Aufnahmen von Zerfall und menschlicher Hybris.
Alles zusammen ist nicht nur ästhetisch beeindruckend - sondern regt auf höchst unterschiedliche Weise dazu an, über menschliches Scheitern zu reflektieren.
Stadtmuseum, bis 30. Januar 2022, Katalog, Deutscher Kunstverlag, 29,90 Euro
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