Kritik

So klingt der Sternenhimmel in der Münchner Rathausgalerie

von  Roberta De Righi
Pancho Schlehhuber in seiner Werkstatt in Obergiesing.
Pancho Schlehhuber in seiner Werkstatt in Obergiesing. © rri

Wie weit spritzt das Wasser, wenn ein unsichtbares Motorrad durch eine Pfütze kurvt? Man kann das auf dem Nordheideplatz im Hasenbergl beobachten. Der Münchner Künstler Alexander Laner dachte sich 2008 die Brunnenanlage "Ab durch die Mitte" aus - und Pancho Schlehhuber sorgt dafür, dass das Wasserspiel funktioniert.

In seine Werkstatt im hintersten Obergiesing kommt, wer eine künstlerische Idee hat, aber wenig Ahnung von Technik, darunter das Duo Brunner & Ritz, Beate Engl, Leonie Felle, Albert Hien. Er selbst versteht sich als "Ghostwriter", doch das trifft es nur halb. Pancho Schlehhuber ist ein genialer Tüftler - und ein Urmünchner Original.

Ohne sein Knowhow und die tollkühne Entschlossenheit, auch aberwitzige Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen und skurrile Mechanismen zum Laufen zu bringen, wäre die Welt um einige Kunstwerke ärmer. Jetzt stellt er zusammen mit Beate Engl und Justin Lieberman - erstmals selbst als Künstler - in der Rathausgalerie aus.

20 Meter lange Lochstreifen sorgen für unterschiedliche Töne.
20 Meter lange Lochstreifen sorgen für unterschiedliche Töne. © Fabian Frinzel

Sein Motto: "Des geht scho -irgendwie"

Nach der Ausbildung zum Lehrer für Werken und Technisches Zeichnen hatte er einst beschlossen, dass der Schuldienst doch nichts für ihn ist. Über einen Bekannten rutschte er die Kunst-Szene, sein erster Auftrag kam 1997 von Albert Hien mit einer Installation fürs Bundesamt für Strahlenforschung.

Offiziell führt Schlehhuber eine Werkstatt für "Lampenschirmbau und Herstellung von Drahtgestellen für Dekorationszwecke in Sonderanfertigung". Denn die deutsche Handwerksordnung ist rigide: Die fast valentinesk anmutende Berufsbezeichnung kommt daher, dass er nur in "Nebenrolle" meisterfrei einen Handwerksbetrieb führen darf.

Elektrik, Mechanik, Statik, Materialkunde - da ist der Horizont ziemlich weit. Er selbst bezeichnet sich als "Technik-Nerd", seine Arbeit als "Kunst für Künstler". Und wenn die ihn mal wieder fragen: "Hast du das schonmal gemacht? Kannst du das bauen?", antwortet er "Na, aber des geht scho, irgendwie." Dann fängt er zum Basteln an, und es geht meistens auch.

Ob eine Riesenrutsche im Parabelverlauf (Brunner & Ritz, 2002 für die TU in Garching) oder, teils klingende, Requisiten für das Singspiel "Prekärotopia" 2019 im Lenbachhaus. Das Zahnradgetriebe einer Kugelbahn-Installation (Leonie Felle für eine städtische Kinderkrippe, 2020), oder zuletzt mit Beate Engl die 40 Meter lange Achterbahnschiene quer durchs Gebäude der neuen Grundschule im Werksviertel: Helmut Schlehhuber, der seit der Grundschule Pancho genannt wird, macht's möglich.

Für jeden Stern am Firmament gibt es einen Ton
Für jeden Stern am Firmament gibt es einen Ton © Fabian Frinzel

In seiner weitläufigen, unterirdischen, an Material und Maschinen überbordenden Werkstatt würde man sich kaum wundern, wenn sich die Einzelteile von selbst zu immer neuen Automaten zusammensetzen. Ein Paradies für Empiriker, Erfinderinnen und solche, die es werden wollen. Für Menschen von geringem technischen Sachverstand, Archivarinnen und Putzkräfte eher eine Kammer des Schreckens.

Mit ausgeprägtem Sinn für absurden Humor

Und weil Schlehhuber nicht nur einen ausgeprägten Sinn für absurden Humor hat, sondern eben zur kreativen Expansion neigt, bespielt er auch den Gehsteig um sein Grundstück herum mit Kunst und höherem Blödsinn: Wer Geld in den Schlitz eines der Automaten im Gartenzaun wirft, kann etwa den "Giesinger Geysir" Wasser speien lassen oder das ohrenbetäubende "Echo der Nager" auslösen.

In die Rathausgalerie wiederum holen Engl, Lieberman und Schlehhuber gemeinsam den Sternenhimmel, und zwar zum Hören. In der Mixed-Media-Installation "Instrumentalized!" macht eine selbstspielende Pianola-Apparatur, pneumatisch angetrieben von einem Staubsauger, Musik am Flügel. Die atonale Melodie entsteht durch einen 20 Meter langen Lochstreifen, auf den Justin Lieberman den gesamten Himmelsatlas gezeichnet hat, der wiederum in eine Notation übersetzt wurde. Zugleich werden die Sternenbilder sichtbar gemacht und an die Decke projiziert. Eine faszinierende Klang-Maschine - aberwitzig, surreal und poetisch.

Das Klavier wird pneumatisch mit einem Staubsdauger betrieben.
Das Klavier wird pneumatisch mit einem Staubsdauger betrieben. © Fabian Frinzel

Und man ahnt in Schlehhubers Begeisterung für technische Details die Neugier, im Kleinen dem Verständnis des großen Ganzen näherzukommen. Am großen Geld war er indes nie interessiert: "Ich will bloß wissen, ob ich's kann. Und danach wieder Neues ausprobieren." Sein "Coming Out" als Künstler ist auch kein Zufall. Als Dienstleister will er (Jahrgang 1962) sich eh langsam zur Ruhe setzen - und mehr eigene Ideen realisieren. Denn davon gibt es reichlich: "Ich hab' zum Beispiel noch kein Haus gebaut und kein Auto." Also sollen demnächst ein Tiny House und ein Mini-E-Auto entstehen. Man kann sicher sein, dass das Modell "Pancho" in beiden Fällen unverwechselbar wird.

 

Rathausgalerie, bis 18. August, Di bis Sa 13-19, So 11-19 Uhr, Eintritt frei

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