So ist die Ausstellung "Pharao - Leben im Alten Ägypten"
Natürlich lockt die Pracht der Pharaonen. Noch spannender ist allerdings der Alltag der alten Ägypter, wie er derzeit im Lokschuppen in Rosenheim zu sehen ist
Bei der empfindlichen kleinen Dame wird er fast euphorisch. „So etwas ist mir noch nicht untergekommen“, schwärmt Oliver Gauert, „das müssen mindestens 30 bis 50 Lagen sein, in die sie gewickelt wurde. Und Leinen waren sündteuer im Alten Ägypten, solchen Aufwand konnte sich nur die absolute Oberschicht leisten“, erklärt der Ägyptologe aus Hildesheim. Das Wort „betucht“ passt hier im doppelten Wortsinn.
Obendrein sind die letzten Überreste der Ta-cheru, so heißt sie, auch noch in einem hervorragenden Zustand, sofern man das bei einer Verblichenen oder besser: bei einer Mumie überhaupt sagen kann. Neben zwei sehenswerten Särgen und fein gearbeiteten Statuetten steht sie im Mittelpunkt der neuen Lokschuppen-Ausstellung in Rosenheim. Die dreht sich bei allem schönen Totenkult dann aber doch vornehmlich ums „Leben im Alten Ägypten“.
Die Städte wurden quasi wie auf dem Reißbrett entworfen
4000 Jahre auf rund 1300 Quadratmetern zu verdichten, ist ein kühnes Ansinnen. Da kann nicht alles in sämtliche Tiefen und Verästelungen gehen. Andererseits traut man sich in Rosenheim, große Themen anzupacken und sie einem breiten Publikum schmackhaft zu machen. Chronologische Auffächerungen gibt es natürlich, aber sie spielen eher eine Nebenrolle: Mit prädynastischen und diversen Zwischenzeiten können die wenigsten etwas anfangen.
Stattdessen gewinnt man Einblick in den Alltag, von dem der einfachen Arbeiter und Bauern bis zum Kult um den gottgleichen Pharao. Und wenn zwei, drei Scherben, Väschen, Pfeilspitzen oder ein vergilbter Fetzen Stoff vorgeführt werden, dann in erster Linie, um eine Geschichte zu erzählen. Was der Präsentation hochkarätiger Kunst keineswegs widerspricht.
Das war nicht immer so in Rosenheim. Vor den fabelhaften Wikingern im letzten Jahr ist manches leidlich dünn geraten. Dafür verlässt man nun auch die Pharaonen-Schau mit einer gut angereicherten Vorstellung vom Dasein der zeitweise bis zu zwei Millionen Menschen am Nil.
Das Wohnhaus des Bildhauers Tutmoses
Das hat auch damit zu tun, dass mit Kurator Christian Tietze nicht nur ein grabungserfahrener Ägyptologe, sondern zugleich ein Betonbauer, Architekt und Ingenieur im Einsatz ist. Die von ihm maßgeblich geprägte Ausstellung verbindet Baugeschichte – ein Dutzend Architekturmodelle lassen sie im besten Sinne (be)greifbar werden – und soziale Strukturen. Dieses komplexe Gefüge wird durch Alltagsgegenstände, Darstellungen von Bräuchen und Festen und durch kostbare Skulpturen von Menschen und Göttern erfahrbar.
Man spürt schnell, dass im Alten Ägypten gerne geplant wurde. Gerade die Städte waren alles andere als Zufallsprodukte, schon vor mehr als 3000 Jahren wurden sie quasi auf dem Reißbrett entworfen. Echnaton alias Amenophis IV. (1351–1334 v. Chr.) ließ Amarna am Ufer des Nils aus dem Boden stampfen. 50 000 Untertanen sollten hier leben und arbeiten. Maßstabsgetreue Modelle zeigen, wie gezielt konzipiert und am Detail getüftelt wurde. Neben prächtigen Tempeln und Palästen und den Anwesen der Oberschicht sieht man genauso „Wohnanlagen“ für die einfachen Leute.
Die Häuser der Mittelschicht
Der Bildhauer Tutmoses etwa besaß ein Grundstück von über 2000 Quadratmetern. Sein Wohnhaus, in dem übrigens die berühmte Büste der Nofretete gefunden wurde, breitete sich auf 300 Quadratmetern aus. Vorräume hemmten den Einfluss der Außentemperatur, und es gab eine Empfangshalle mit Platz für gut 50 Personen, in der man über neue königliche Repräsentationsprojekte beraten konnte oder die Arbeiter mit Getreide ausbezahlt wurden. Auch sonst war dieser Prominenten-Wohnsitz ungemein praktisch eingerichtet und machte zugleich einiges her.
Die Häuser der Mittelschicht – gemeint sind Ärzte, Schreiber, Kaufleute oder gut ausgebildete Handwerker – waren mit 80 bis 150 Quadratmetern Fläche schon deutlich kleiner, während sich der größte Teil der Bevölkerung mit einem Wohnraum von rund 20 Quadratmetern begnügen musste. Gleichwohl hat die arbeitende Klasse in den folgenden Jahrtausenden viel Schlechteres gesehen, von einer ansehnlichen Gestaltung ganz zu schweigen.
Die Baugeschichte als wichtiges Korrektiv der bisherigen Erkenntnisse
Die 72 Reihenhäuser einer Arbeitersiedlung östlich von Amarna lassen nebenbei an die schlichten Entwürfe der Bauhäusler denken. Auch solche Eindrücke dürften für viele Besucher überraschend sein.
Insofern funktioniert der Fokus auf die Baugeschichte und die Räume der Ägypter auch als Korrektiv zur bislang vornehmlich schriftfixierten Forschung. Vor allem, wenn dann der sogenannte Hausrat dazukommt, und man tatsächlich in gut vier bis fünf Jahrtausende alte Suppentöpfe, Schmuckschatullen und Schminktiegel blicken darf. Damit könnte man sich heute noch stilvoll herrichten, nach wie vor würde mit dem Khol-Kajal der perfekte Lidstrich gelingen. Nur das Schminkstäbchen aus Hämatit ist vielleicht ein bisschen grob, wobei die feinen Pinzetten dann schon wieder verblüffen.
Die noble Kopfstütze, die opulente Frisuren heil durch die Nacht bringen sollte, würde man sofort gegen ein Kissen eintauschen. Halbwegs bequeme Betten scheinen dafür gar nicht so selten gewesen zu sein.
Eine Mumie und ein Totenreich mit erlesenen Exponaten
Es war der Nil, der für diesen Wohlstand gesorgt hat. Dass es genauso Kriege und Hungersnöte gab, vergisst man vor mächtigen Pyramiden und bestens ausgestatteten Grabkammern. Und gerade Letztere beflügeln unsere Fantasie in besonderem Maße. In Rosenheim taucht man ein in ein ziemlich farbenfrohes Totenreich mit erlesenen Exponaten. Aber da musste die Sippe eben zahlungskräftig sein wie im Fall von Ta-cheru, die normalerweise im University Museum von Aberdeen aufbewahrt wird – neben dem Pelizaeus-Museum Hildesheim der zweite Kooperationspartner des Lokschuppens.
Die Ausstellung gab den Anlass, die Mumie aus dem 4. Jahrhundert vor Jesus Christus endlich genauer ins Visier zu nehmen, inklusive einer Computertomographie im Hildesheimer Krankenhaus. Und auch die hat die Vermutung bestätigt: alles nur vom Feinsten. Von der üppigen Balsamierung bis zur hochartifiziellen Entfernung von Gehirn und Organen. Die Wirbelsäule der deutlich über 60-jährigen Frau weist kaum Abnutzungserscheinungen und keinerlei Defekte auf, vermutlich führte Ta-cheru ein eher behagliches Leben am fruchtbaren Nil. Aber da war sie nicht die Einzige.
Bis 17. Dezember 2017, Mo. bis Fr. 9 bis 18, Sa., So. und feiertags 10 bis 18 Uhr; Lokschuppen Rosenheim, Rathausstraße 24; Eintritt: Erwachsene 14,50, Kinder ab fünf Jahren 7,25 Euro. Katalog: „Pharao – Leben im Alten Ägypten“, Verlag Philipp von Zabern – WBG, 294 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 32 Euro; Informationen unter 08031/3659036, www.lokschuppen.de. Vom Bahnhof Rosenheim aus ist der Lokschuppen in gut 10 Minuten bequem zu Fuß erreichbar.
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