SkizzenBuchGeschichte(n): Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne
Vom Gebrauchsgegenstand zum sorgsam gehüteten Kunstobjekt – eine bemerkenswerte Verwandlung. Die Rede ist vom Skizzenbuch: Bis das letzte Blatt vollgekritzelt ist, ist es alltägliches Arbeitsgerät eines Künstlers, danach gelangt es unter Umständen als Exponat ins Museum.
So wie die rund 260 Skizzenbücher aus der Zeit seit dem 18. Jahrhundert bis heute, die sich im Besitz der Graphischen Sammlung befinden.
Die Präsentation "SkizzenBuchGeschichte(n)" in der Pinakothek der Moderne stellt jetzt erstmals das von außen unscheinbare Medium in den Mittelpunkt einer Ausstellung. Sie ist krönender Abschluss eines Forschungsprojektes, im Rahmen dessen Kuratorin Christiane Schachtner alle Kladden gesichtet und wissenschaftlich bearbeitet hat. Das Ergebnis ist eine Typologie des Skizzenbuchs in acht Kapiteln – von seiner Funktion als Reisebegleiter über die Verwendung als Speichermedium, als Ort des Nachdenkens und des Experimentierens bis hin zu einer Art Tagebuch in Bildern. Eine Reise dokumentieren etwa Carl Spitzwegs Eindrücke seiner ersten Eisenbahnfahrt nach Bozen 1867 oder die Beobachtungen von Johann Georg von Dillis während seiner Schiffspassage von Neapel nach Palermo 1817/18.
Überhaupt Italien: Sehnsuchts- und Seh-Suchts-Ort der Deutschen bis heute, wie auch Borynana Yanchevas akkurate Architektur-Risse und -Schnitte aus dem toskanischen Lucca zeigen. Und Beate Terfloth hielt noch 2011 auf einer Zugfahrt von Aquaviva nach Palermo die vorüberziehende Landschaft in einem Raum-Zeit-Kontinuum über mehrere Seiten fest.
"Nulla dies sine linea – kein Tag ohne Linie" notierte sich Hans Faber du Faur 1892 auf die erste Seite eines der über 80 Skizzenbücher, die er täglich außer sonntags mit Porträts und Figurenstudien füllte. Manch ein Künstler notierte zu erledigende Einkäufe so wie Alexander Kanoldt, der "Spinat, Wirsing, Tomaten" zwischen seinen Skizzen platzierte.
Der Münchner Künstler Olaf Metzel wiederum machte sich 2001 aus aktuellem Anlass Gedanken zur "Stadiondebatte", experimentierte mit der Form von Bällen – ob Rugby-Ei oder Kugel – und schrieb dazwischen ganz beiläufig den Titel einer seiner Installationen: "Alles Flaschen".
Höhepunkt der Ausstellung sind allerdings bei allem Respekt vor der Vielfalt des Dargebotenen die 36 Blätter aus Franz Marcs "Skizzenbuch aus dem Felde", die man nicht so oft im Original zu sehen bekommt und in denen sich dessen Werk ergreifend verdichtet. Es wurde schon vor einiger Zeit auseinandergenommen, und so sieht man die kleinformatigen Bleistiftzeichnungen, die im Frühsommer 1915 an der Westfront des Ersten Weltkrieges entstanden, in der Zusammenschau.
Sie zeigen eine den Schrecken des Krieges völlig entrückte Sphäre, hermetisch und fast abstrakt – bis auf die Tiere wie Vögel, Fuchs und Rehe. In einer kosmischen Einheit, die auf Erden nicht zu finden ist, erkennt man auch einige Formationen seiner Gemälde wieder. Zugleich scheinen diese inneren Bilder eine Ahnung davon zu geben, was Franz Marc noch geschaffen hätte, wäre er nicht am 4. März 1916 im Altern von 36 Jahren bei Verdun gestorben.
Pinakothek der Moderne: "SkizzenBuchGeschichte(n)" bis 21. Mai, Di – So, 10 – 18, Do bis 20 Uhr (Katalog 39 Euro)
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