Schwer zu toppen: Die Archäologische Staatssammlung nach der Generalsanierung
Das neue Symbol passt perfekt: Es zeigt einen goldenen Löwen beim Sprung, einst Zierbeschlag auf einem frühmittelalterlichen Kampfschild aus der Gegend um Traunreut. Das bayerische Wappentier wirkt wenig furchteinflößend, eher harmlos verspielt. Doch der Leo macht richtig Laune - wie so vieles in der Archäologischen Staatssammlung, die morgen nach einer grundlegenden Sanierung wieder fürs Publikum öffnet.
Das ist erstaunlich und auch wieder nicht. Münchens vor- und frühgeschichtliches Museum zog bis zur Schließung 2016 zwar etliche Besucher an. Dagegen hielt sich die Begeisterung für den 70er-Jahre-Bau von Anfang an in Grenzen, obwohl sich der Architekt Helmut von Werz ein sehr passables Konzept ausgedacht hatte: zurückhaltend und nah an den Farben der Natur, kubisch gegliedert und frei nach Schinkel um zwei Lichthöfe herum angelegt. Einer davon mit dem herrlichen Bodenmosaik einer römischen Villa aus Westerhofen bei Ingolstadt.
Nach den Olympischen Spielen 1972 waren die Kassen allerdings klamm. Entsprechend schmalspurig wurde verfahren, das rächt sich schnell, und der städtebauliche Gesamtplan mit einer neuen Bebauung hin zum Bayerischen Nationalmuseum war dann auch bald vom Tisch. Die verwitterte Fassade der Staatssammlung ließ man verschämt hinter Bäumen verschwinden, im Inneren war die braune Bodensoße sowieso nie inspirierend
Und jetzt? Licht, Offenheit und Weite. Dabei haben Nieto Sobejano Arquitectos die von-Werz-Pläne kollegial respektiert, den entkernten wie schadstoffsanierten Komplex in seinen Proportionen belassen und die räumlichen Erweiterungen in den Untergrund verlegt. Auch die charakteristische Cortenstahl-Verkleidung wurde wieder angebracht, also im alten Stil neu angefertigt.
Nun besticht das helle Rostrot schon von weitem, wohltuend ist die Übersicht im großzügigen Eingangsbereich. Die 70er-Jahre-Architektur hat sich geschmackvoll elegant ins 21. Jahrhundert geschlichen, während die Sammlungen völlig neu zu erleben sind. Mit sämtlichen medialen Zutaten, die es heute braucht, die sich aber auch nicht aufdrängen.

Auf 1200 Quadratmetern Ausstellungsfläche wird nicht nur Geschichte, es werden mehr noch Geschichten erzählt. Nicht zwingend chronologisch, doch das können selbst spitzfindige Archäologen gut verkraften, zumal immer auch die Möglichkeit der Vertiefung besteht. Dann landet man schon mal bei aktuellen Forschungsergebnissen - da sind die Münchner weit vorne im internationalen Vergleich - oder geht einem Fund mit Röntgenblick ans Eingemachte wie zum Beispiel dem keltischen Fürstengrab aus dem niederbayerischen Otzing. Solches mit seinen unzähligen Bronzefitzelchen auszubreiten, macht klar, dass Archäologie erst einmal Schufterei bedeutet.
Wesentliches über das tiefschürfende Metier und die Schwerpunkte der Sammlung erfährt man beim ersten von zwei Rundgängen, erarbeitet mit dem museumserfahrenen Stuttgarter Atelier Brückner. Folgerichtig führt diese Tour unter die Erde, also ins Souterrain, entlang der existenziellen Fragestellungen: Das reicht von der Selbstreflexion - seit 35.000 Jahren bildet sich der Mensch selbst ab und anfangs in umwerfend minimalistischer Reduktion - über das Fassen der Zeit oder die Einordnung in den Kosmos bis hin zum Tod.
Dann darf auch ein bisschen Grusel sein. Wenn Knöchelchen herumliegen, gibt es ohnehin eine Triggerwarnung. Wobei hier die grafische Vermittlung ihre Stärken zeigt. Der Münchner Comiczeichner Frank Schmolke hat Begräbnisriten in präzise Bilder übertragen. Die Bestattung einer reichen Frau des 7. Jahrhunderts im mittelfränkischen Dittenheim etwa bringt Familienzusammenhänge, Trauer und Furcht, aber auch die gefundenen Gegenstände wie Keramikgefäße, Schmuck und Speisenbeigaben in eine gut nachvollziehbare Szenerie.
So könnte es tatsächlich gewesen sein, im 19. Jahrhundert waren die Maler ständig am Imaginieren geschichtlicher Begebenheiten, in Historienfilmen geschieht nichts anderes, und Schmolke ist durch seinen intensiven Austausch mit den Fachleuten der Sammlung bestimmt näher an der Realität als das Gros der Regisseure. Außerdem bleibt die nötige Distanz, gerade auch im Vergleich zu den früher gerne mit lebensgroßen Figuren nachgestellten Alltagssituationen.
Neutralweiße Flachmodelle dürfen dafür die Accessoires vorführen: Die Silhouette eines Kriegers ist mit Speer, Schwert und Schildresten von einem Alamannen aus der Zeit um 600 nach Christus versehen, die Bajuwarin trägt üppige Ketten aus bonbonbuntem Glas, und eine Fürstin aus dem 7. Jahrhundert wertvollste Preziosen. Darunter die berühmte Wittislinger Fibel. Dieses Prachtstück von einem Kleiderverschluss fast beiläufig und nicht auf dem Samtkissen zu präsentieren, ist gewöhnungsbedürftig, verdeutlicht aber auch, was in diesem Grab geboten war: vom Goldblattkreuz bis zur Kugelknopfnadel und einer dicken Goldscheibenfibel.
Am südlichen Rand der Schwäbischen Alb ließ man sich jedenfalls nicht lumpen, und diese Kostbarkeiten sind auch schon Teil des zweiten Rundgangs mit den Schätzen des Hauses. Hier werden die Voraussetzungen der menschlichen Existenz aufbereitet, das Dach überm Kopf, die Siedlung und bald die ersten Dörfer, "Speis und Trank" - Bier und Wein flossen früh in Strömen, die Mobilität als Motor kulturellen Fortschritts oder die Ausdehnung des römischen Imperiums auf dem Gebiet des heutigen Freistaats.

Dass Pfeilspitzen, Gefäße oder Münzen vorzugsweise ansehnlich und ohne jede Beschriftung in die Vitrinen gesetzt sind, hat Vorteile: Man ist nicht dauernd am Nummernsuchen und konzentriert sich vielmehr auf den ästhetischen Reiz der Objekte. Wer's dennoch genau wissen will, hat den digitalen Guide. Von den drei angebotenen Rundgängen dürfte Luise Kinsehers "Schmankerl-Tour" - erkennbar an kleinen Brezn - der Renner werden.
Noch so ein Hingucker sind die Bodenvitrinen. Man geht quasi über Waffen und Geschirr, seriell hergestelltes Sargzubehör oder Tierschädel. In diesem Fall sind das die 2000 Jahre alten Schlachtabfälle einer Metzgerei nahe Augsburg. Am meisten sticht freilich der Raum über den "Wert der Dinge" ins Auge. Frühe Metallobjekte wie Beil- und Dolchklingen aus teurem Kupfer, Münzschätze oder das goldene Kultbäumchen aus dem oberbayerischen Manching sind inszeniert wie die Verkaufsauslagen bei Cartier. Und weil Edles die Gier weckt, gibt es dazu ein keltisches "Schließfach", das selbst Museumsdirektor Rupert Gebhard erst beim fünften Versuch knackt.
Zweck erfüllt, kann man da nur sagen. Vieles funktioniert heute noch, manches wie das bis ins frühe 20. Jahrhundert übliche Recycling wurde fatalerweise aufgegeben. Anderes hat wiederum seine Zeit. Macht vor allem, territoriale Vorherrschaften und selbst die der Ewigkeit verpflichteten Religionen. Man vergisst das leicht, deshalb sind solche Museen notwendige und sogar unterhaltsame Korrektive.
Die 66 Millionen Euro für die Sanierung der Archäologischen Staatssammlung sind jedenfalls gut angelegt.
Dass der unterirdische Sonderausstellungsraum erst im Herbst bespielt wird, geht sowieso in Ordnung. Allein die Dauerschau fordert mehrere Besuche. Ganz zu schweigen vom Café auf der Dachterrasse. Mit Blick auf den Englischen Garten ist das alles schwerlich zu toppen. Ein Löwen-Sprung eben.
Archäologische Staatssammlung, Lerchenfeldstraße 2, geöffnet ab morgen, Mittwoch, 17. April, täglich außer Montag 10 bis 17 Uhr, Do und So bis 19 Uhr. Bis Sonntag, 21. April Eintritt frei, www.archaeologie.bayern.de, Katalog mit Highlights (Pustet Verlag, 160 Seiten, 20 Euro)
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