Schwächen im Kerngeschäft

Durchs Haus der Kunst weht Weihrauch-Geruch. Will man dem Publikum die Sinne vernebeln? In der neuen „Kapsel 07“-Ausstellung ließ der aus Kolumbien stammende Künstler Oscar Murillo erst einmal echten Weihrauch abbrennen. Und auch sonst ist seine Präsentation, die er als eine Art betretbares Environment und Work in Progress gestaltet hat, recht weihevoll: Schwere, mit schwarzer und auch etwas roter Farbe getränkte Leinwände hängen von der Decke und an den Wänden. Sie bringen dabei jede Menge dunkle Energie, aber man sich damit auf Ikonen von Malewitsch bis Ad Reinhardt berufen. Und auf einem Stoffbild fliegt eine Taube auf, die durchaus an den Heiligen Geist denken lässt.
Mit schwarzen Leinwänden, vor dem Zentralpavillon aufgehängt wie Fahnen oder Vorhänge, umrahmte der in London lebende Künstler schon seinen Auftritt auf der Venedig-Biennale 2015. Jetzt bringt er sie also nach München, diesmal als Interior Design. Murillo sieht seine Ausstellung als „Vorschlag“, dementsprechend beiläufig wirkt die Inszenierung denn auch. Hier soll alles Mögliche evoziert werden, aber irgendwie bleibt bei näherer Betrachtung nichts haften. Etwas nachhaltiger dürfte das Langzeitprojekt „Frequencies“ wirken, das Murillo weltweit mit Schülern und jetzt auch mit fünf Klassen aus München durchführt – vor allem auf die Beteiligten. Dafür stellt der Künstler Leinwände fürs Klassenzimmer zur Verfügung, mit denen er 10- bis 16-Jährige zur Bemalung auffordert – und zwar mit den Sujets, die für sie jeweils relevant sind.
Hinter tausend Bildschirmen keine Welt
Nebenan zeigt Polina Kanis als „Kapsel 08“ eine beklemmende Drei-Kanal-Filminstallation: „The Procedure“ hat die 1985 in Russland geborene Künstlerin, die in Amsterdam lebt, ihre Arbeit genannt. Eine Elegie der Vergeblichkeit und der Frustration, derart beschwerlich schon beim bloßen Zusehen, dass sie unbedingt beeindruckt. Die Protagonisten hängen in leeren Fluren herum und sind scheinbar zu ewigem Warten verdammt. Zwischendurch lamentiert ein junger Mann mit leerem Blick im Wald stehend: „Ich sah nichts.“ Dagegen war’s bei Godot noch spaßig. Kanis bringt den stillen Exzess der Bürokratisierung und Hierarchisierung in einem entmenschlichten System zur Aufführung.
Darüber hinaus wurde in der Mittelhalle Hans Haackes „Gift Horse“ im Rahmen von „Der Öffentlichkeit“ ersetzt: Die New Yorkerin Sarah Sze, auch Biennale-Teilnehmerin hat eine unfassbar aufwändige, skulpturale Multimedia-Projektion entwickelt. Sie nannte sie „Zentrifuge“, und darin flimmern auf hunderten von Leinwänden – die in der Größe zwischen Briefmarke und Postkarte variieren – allerlei erhabene Aufnahmen aus dem Mikro-und Makrokosmos. Die filigrane, hochkomplexe Konstruktion lässt einen staunen, doch die Bilder, die sie produziert, bleiben Oberflächen. Und hinter tausend Bildschirmen keine Welt.
Die Energien sind rar geworden
Diese Kunst hinterlässt einen seltsam beliebigen Eindruck. Seltsam auch, dass gleich mehrere neue Herbst-Ausstellungen eröffnen, aber keine ordentliche Pressekonferenz dazu stattfand. Es sei der Versuch gewesen, „Energien zu bündeln, d.h. für die unterschiedlichen Multiplikatoren einen einzigen Termin anzusetzen“, erklärte man dazu im Haus der Kunst – was allerdings kontraproduktiv ist.
Aber die „Energien“ sind offenbar rar geworden: Die bereits für Februar 2017 angekündigte Kiki-Smith-Retro „Procession“ sowie die für Oktober vorgesehene Themen-Schau mit „Blinder Glaube“ wurden auf Februar bzw. März 2018 verschoben. Das ist für eine renommierte Institution im Normalbetrieb höchst ungewöhnlich. Die Thomas-Struth-Ausstellung, die am kommenden Sonntag enden sollte, ist bis zum 7. Januar verlängert.
Noch im Juli hatte man seitens der Geschäftsführung auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hin „massive“ finanzielle Schwierigkeiten verneint. Doch die aktuellen Entwicklungen fordern die Frage heraus: Ist das Haus der Kunst etwa doch pleite? Es scheint jedenfalls, dass es ein bisschen Weihrauch und Hilfe von ganz oben bitter nötig hat.
Haus der Kunst, bis 18. März, täglich 10 bis 20, Do bis 22 Uhr; am 24. November berichten die beteiligten Schüler über ihre Mitarbeit an „Frequencies“