Schöner Schamanen-Schein
Eine Mischung aus Felix Krull und Münchhausen, dazu eine Prise KT zu Guttenberg – Joseph Beuys (1921- 1986) hat seinen Lebenslauf fein frisiert, mehr als bislang angenommen, und im Ideenpool der Kollegen gefischt. Hans Peter Riegels akribisch recherchierte Biografie zeigt aber noch Unerfreulicheres: Das Kunstidol, das im neuen Lenbachhaus mit herausragenden Objekten einen formidablen Auftritt genießt, hing dem völkischen Gedankengut des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner an, umgab sich gerne mit Rechten. Und auch mit der demokratischen Gesinnung war’s nicht weit her.
AZ: Herr Riegel, Sie haben Beuys kennen gelernt, als Sie Assistent von Jörg Immendorff waren. Fanden Sie ihn sympathisch?
HANS PETER RIEGEL: Beuys war überaus sympathisch, fröhlich, warmherzig. Als Mensch war Beuys bezaubernd.
Hat er Sie fasziniert?
Natürlich. Beuys war eine imposante Erscheinung, er hatte großes Charisma.
Sind Sie von ihm enttäuscht, nachdem er seine Biografie – freundlich ausgedrückt – doch sehr geschönt hat?
Mir wird immer unterstellt, ich wollte ihn fertig machen oder vom Denkmal stürzen. Aber das ist Unfug. Seine Installationen, die wunderbaren Zeichnungen, dass er sich in seiner Arbeit förmlich selbst aufgegeben hat, davor habe ich große Hochachtung. Allerdings gehe ich den Dingen gerne auf den Grund. Und hierbei erschlossen sich mir die problematischen Aspekte seines Mythos’.
Ein Teil der Legenden wurde schon vor Jahren widerlegt, etwa die Mär von den Tartaren, die Beuys nach seinem Absturz auf der Krim gepflegt haben. Erstaunlich, dass die Lüge vom naturwissenschaftlichen Studium nicht viel früher aufgedeckt wurde.
Niemand hat danach gefragt. Dabei gab Beuys unzählige Interviews. Selbst in seiner letzten Rede hob er hervor, er habe Naturwissenschaften studiert. Damit wollte sich Beuys von den anderen Künstlern abheben. Es war zudem Argument seiner Befürworter, mit dem sie Beuys als eine Art Universalgenie darstellten. Später diente es, ihn zum Öko-Pionier zu stilisieren. All diese Geschichten nie zu hinterfragen, war unglaublich naiv.
Sie schreiben, Beuys hätte sich gerne mit alten Nazis umgeben, Treffen von Kriegskameraden noch in den 70er Jahren besucht. Das ist zwar nicht ganz neu, hat aber auch niemanden interessiert.
Auch sein Freund und Verleger Klaus Staeck, der ihn naturgemäß verteidigt, hat dennoch eine differenzierte Sicht auf ihn und bemerkte in einem Interview, dass sich Beuys mit falschen Leuten umgeben hat. Nachweisbar arbeitete Beuys politisch mit Rechtsradikalen zusammen. Und auch bei der Gründung der Grünen spielten Rechtsradikale eine gewichtige Rolle. Beuys’ langjähriger Büroleiter war der ehemalige SA- und SS-Mann Karl Fastabend. Beuys hatte mit ihm schon die Organisation für direkte Demokratie gegründet, später kandidierten beide für die rechtsgerichtete Partei AUD. Aber alle wollten in Beuys den linken Weltverbesserer sehen und haben vor dem anderen die Augen verschlossen.
Beuys selbst war aber kein Nazi.
Er ist wie viele andere seiner Generation der Fahne nachgelaufen. Das werfe ich ihm nicht vor. Aber dass er in späteren Jahren nicht differenzierter über seine Rolle in dieser Zeit nachdachte und zum Beispiel seine Entscheidung, an Hitlers Vernichtungskrieg teilzunehmen, „moralisch richtig” nannte, ist für mich bedenklich. Beuys’ Weltanschauung war völkisch, und das ist problematisch.
Konkret?
Es gibt die völkischen Rassisten, das war Beuys auf keinen Fall. Aber es gibt eine Spielart des Völkischen, die eine agrarische, vormoderne Gesellschaft befürwortet. Eine Gesellschaft, die sich aufs germanische Erbe stützt, esoterisch, okkultistische Ideale pflegt. Dieser Version des Völkischen hat Beuys angehangen, das hat mit seiner Rudolf Steiner-Obsession zu tun, das belegen unzählige seiner Aussagen.
Beuys hat die Demokratie auf seine Fahnen geschrieben, auch bei Veranstaltungen der Friedensbewegung ist er aufgetreten. Alles Fake?
Wenn Sie die Äußerungen ehemaliger Studenten und Professorenkollegen lesen, stellen Sie fest, dass Beuys schon in den 60er Jahren faschistoides Verhalten und Germanenkult vorgeworfen wurde. Letztlich sind die Lehren Rudolf Steiners reaktionär, autoritär und totalitär. Steiner verlangte von seinen Anhängern, dass sie ihr Leben vollständig seinen Lehren unterwerfen. Er sprach von Erzengeln, von höheren Wesen, die er als Lenker des Volkes beschrieb.
In solchem Zusammenhang kommt gerne der Einwurf, man dürfe bei Künstlern doch nicht alles für bare Münze nehmen, das seien ja auch Stilmittel.
Ja, das Totschlagargument: Künstler solle man nicht allzu ernst nehmen. Bei Beuys hebt sich das aber selbst auf, denn er hat der Sprache den gleichen Rang zugewiesen wie seiner bildnerischen Kunstausübung. Also muss ich Beuys ernst, bzw. beim Wort nehmen.
Den Künstler Joseph Beuys zeichnen Sie als einen, der sich durchaus bei Kollegen und deren Ideen bedient hat. Das klingt nicht besonders avantgardistisch.
Beuys war bauernschlau, er hat schnell gemerkt, wenn etwas im Gange war, von dem er profitieren konnte. Dann hat er sich angehängt, so wie bei Fluxus. Beuys ließ sich von seiner Umgebung inspirieren. Dieter Roth und Daniel Spoerri waren Weggefährten, die vor ihm mit hinfälligen Gegenständen gearbeitet haben. Nam June Paik hat ihm regelrecht die Augen geöffnet, wie man performativ Kunst ausüben und sich damit selber zum Kunstwerk gestalten kann. Von Paik hat er wahnsinnig viel gelernt. Beuys wird gerne als vom Himmel gefallene, einzigartige Figur der Kunstavantgarde dargestellt, aber das ist kunsthistorisch leicht widerlegbar. Dennoch: Seine Aktionen und Installationen sind herausragend. Beuys hat damit für eine ganze Künstlergeneration die Türen aufgestoßen und völlig neues Terrain erobert.
Wenn man dies alles in Betracht zieht: Kann die Beuys-Ausstellung im Lenbachhaus so bleiben, oder bedarf es einer Korrektur?
Ich kenne die aktuelle Präsentation im Lenbachhaus noch nicht. Allerdings möchte ich auf den zentralen Aspekt Rudolf Steiner verweisen, von dessen Lehre praktisch alle Beuys-Werke durchdrungen sind. Beuys sprach von Antennen, die er in die Welt setzt, damit die Leute mit ihm und seiner Weltanschauung in Verbindung treten können. So gesehen ist zu fragen, ob die Exponate im Lenbachhaus künstlerische Objekte der Avantgarde oder anthroposophisch determinierte Kultobjekte sind. Dass Beuys als einzigartige künstlerische Position in Museen gezeigt wird, mag berechtigt sein. Aber man sollte sein künstlerisches Wirken aus der Perspektive seiner Weltanschauung neu bewerten. Ich kann hier nur ein Gespräch anregen – und ich würde mich der Diskussion gerne stellen. Aber eine Lesung oder ein Vortrag ist vom Lenbachhaus bislang abgelehnt worden.
Hans Peter Riegel, „Beuys. Die Biographie”, Aufbau Verlag, Berlin, 28 Euro