Schinkel, der verspielte Visionär

Eine umfassende Schau in der Hypo-Kunsthalle zeigt, dass der Architekt, Maler und Designer Karl Friedrich Schinkel ein hoch innovativer Geist war
von  Christa Sigg

Berlin hat er mit seinen Bauten maßgeblich geprägt. Und nicht nur das. Eine umfassende Schau in der Hypo-Kunsthalle zeigt, dass der Architekt, Maler und Designer Karl Friedrich Schinkel ein hoch innovativer Geist war.

München - Leicht möglich, dass vereinzelte Münchner ein gewisses Unbehagen befällt. Zumal eingefleischte Weißblau-Patrioten, denen der alte Klenze als stadtprägendes Nonplusultra gilt. Sie dürfen ihren Lieblingsklassizisten weiterhin verehren, keine Frage. Aber was aus einer gelassenen Rückschau mit Sinn für die Bedürfnisse der eigenen Zeit ohne feindseliges Konkurrenzgehabe entstehen kann, wird in der Hypo-Kunsthalle eindrucksvoll vor Augen geführt. Und selbst Architektur-Afficionados dürften im Schaffen des Karl Friedrich Schinkel noch ein paar unbekannte Raffinessen entdecken..

Der biederbrave Preuße war das, was man heute ein Multitalent nennt. Über den Zeichenstift erschloss er sich schon als Kind die Welt. Beeindruckt von den Entwürfen des angesagten Friedrich Gilly wollte er Architekt werden – das ist eine schöne Parallele zu Leo von Klenze, den Gilly genauso mit dem Bauvirus infizierte, beide werden dessen Schüler.

Lange hat Schinkel allerdings nicht studiert, der Lehrer stirbt früh, und den 20-Jährigen drängt es in die Praxis, entwerfen, gestalten will er. Wenn’s sein muss, ohne Auftrag. Er reist, zeichnet ausgiebig, lernt Prag, Wien, Italien und Frankreich kennen, saugt auf, was ihm vor die Augen kommt und schafft sich einen unerschöpflichen Fundus. Doch Napoleon wütet durch Europa, besetzt 1806 Berlin, der König ist längst im Exil – wer will da noch bauen? Der junge Mann mit der markanten Physiognomie ist um Ideen nicht verlegen. Er malt Dioramen, schafft Bühnenbilder aus fantastischen Landschaften und Architekturen. Mozarts Königin der Nacht vor strahlend blauem Sternenhimmel beeindruckt noch heute. Und schnell wird klar, dass dieser Schinkel ganze Welten kreieren kann – und sein Publikum bewegt.

Als die Zeitungen 1812 vom Brand Moskaus berichten, entwickelt er ein mechanisches Schaubild der Katastrophe: Flammen, Soldaten, Fliehende sind effektvoll in Szene gesetzt, und die Berliner strömen scharenweise zur Vorführung in den Bölkschen Saal. Für die Schau, die in Kooperation mit dem Kupferstichkabinett in Berlin entstanden ist, wurde das mehrschichtige Spektakel aufwändig rekonstruiert, und tatsächlich nimmt es auch in Zeiten von Cyberspace und Computeranimationen sofort gefangen.

Schinkel gelingt nicht nur auf dieser theatralen Ebene Außergewöhnliches. In einer Stadt, die am Boden ist, kann er nun endlich auch als Architekt innovativ werden. Und egal, ob Altes Museum oder Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, ob Neue Wache in griechisch-römischen Formen oder Kirchen, die auf gotisches Vokabular zurückgreifen – Schinkel kopiert nie. Unter Einbeziehung des Alten schafft er nie Dagewesenes. Frei nach seinem Wahlspruch „Man ist nur da lebendig, wo man Neues schafft“. Selbst mit einem Backsteinbau wie der Bauakademie schaut er in die Zukunft. Denn weder gibt es eine Hauptfassade, noch ist eine Raumhierarchie zu erkennen.

Das waren die Aufreger dieses Lebens, und nie hörte der Künstler auf zu suchen, sich neu zu orientieren, was man von Klenze kaum behaupten kann. Egal, ob es um einen Gartenstuhl oder eine abgedrehten Großresidenz ging wie etwa den Palast des bayerischen Griechenkönigs Otto neben der Akropolis. Die Hellenen hatten kein Geld. Nun ja. Schinkel dafür Humor. Und sicher spielte er schon wieder mit dem nächsten – visionären – Projekt.

Hypo-Kunsthalle, bis 12. Mai, Katalog (Hirmer) 25 Euro

 



Bescheiden, liebevoll und arbeitswütig

Sein Tod liegt über 170 Jahre zurück, doch bis heute gibt es über Karl Friedrich Schinkel keine kritische Biografie. Und auch im opulenten Katalog nehmen die Lebensbeschreibungen gerade mal drei Seiten ein. Kurios ist das, und auch wieder nicht, denn der preußische Architekt, Stadtplaner, Maler und Bühnenbildner führte ein Leben ohne Skandale, zelebrierte kein „tragisches Dasein“ wie viele seiner romantischen Künstlerkollegen. Vielmehr war Schinkel ein ungemein fleißiger, bescheidener, liebevoller Familienvater.

Der 1781 in Neuruppin geborene Pfarrerssohn arbeitete sich aus bescheidenen Verhältnissen – der Vater starb früh – weit hinauf bis zum Baumeister des Königs und Oberlandesbaudirektor. Seinen ernormen Einsatz bezahlt er teuer, in den 1830er Jahren schwächen ihn mehrere Schlaganfälle, er erblindet und stirbt 1841 im Alter von 60 Jahren.

 

 

 

 



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