Rebecca Horn im Haus der Kunst: Veritable Flügelschläge
Der Himmel hängt hier sicher nicht voller Geigen. Und wenn sie im Haus der Kunst doch vereinzelt auftauchen, dann fahl kratzend wie von kraftloser Geisterhand gestrichen. Stattdessen baumelt ein Flügel kopfüber unter der Decke - und übergibt sich alle paar Minuten. Mit einigem Getöse fallen die Tasten heraus, um sich wenig später wieder zurück in die alte Position zu ziehen.
Mittlerweile dürfte das Klavier-Spektakel die bekannteste Skulptur Rebecca Horns sein. In einer Überblicksschau darf es auf keinen Fall fehlen, schon gar nicht bei einer Hommage im Nachgang zum 80. Geburtstag im März. Solche Verneigungen bergen freilich die Gefahr, dass sich ein Knüller an den nächsten reiht und das Raffinierte, bei Horn gerne auch Subversive nicht mehr so recht wahrgenommen wird. Gerade der Flügel wirkt genau dort, wo er aus dem üblichen Rahmen fällt.
In der "Beethoven"-Schau vor vier Jahren im Kunsthistorischen Museum in Wien schloss eine Besucherin messerscharf, Rebecca Horn hätte sich mit dem "speibenden" Instrument für die Quälerei in den Klavierstunden revanchiert. Rache kann aufwendig sein. Tatsächlich hat das Werk just in diesem Umfeld für Irritationen gesorgt - so, wie die Musik des Komponisten, als sie noch völlig neu und damit "unerhört" war.
Mit opulenten, doch im Grunde einfachen Mitteln hat das so bezeichnete "Concert for Anarchy" Beethovens tönende Revolution, ja selbst sein Traktieren des Klaviers sichtbar werden lassen. Solche Zusammenhänge konnte die Künstlerin 1990 beim Konzipieren der Arbeit gar nicht bedacht haben, aber diese Verblüffung aus dem Sinnfälligen heraus macht ihr Werk zwischendurch so bezwingend.
Es ist ja ständig etwas in Bewegung. Man steht da wie vor der Modelleisenbahn und ertappt sich dabei, auf eine falsche Weichenstellung zu warten oder - noch besser - den Crash. Der gerät dann allerdings so kunstvoll sanft, dass man eher von einem Kuss sprechen muss: zum Beispiel wenn sich zwei Nashorn-Hörner auf gerundeten Metallstäben im Zeitlupentempo aufeinander zubewegen.
Zwei Nashörner
haben magischen Maschinensex
Man hört kein einziges "Ping", aber es schlägt bei diesem "Kiss of the Rhinoceros" richtige Funken. Denn unter dem einen Horn hat der Stab eine Öffnung, in die sich der Gegenstab wie ein Stecker einfügt. Elektro-magischer Maschinensex ist das oder anders: Die Fantasie tritt gegen die schnöde Wirklichkeit an.
Auch die "Preußische Brautmaschine" ist so ein Walking Gag, bei dem man nicht weiß, wer am Ende unter die Fuchtel kommt. Sie besteht aus weißen Stöckelschuhen, die in einer Tour mit blauer Farbe begossen werden. Horn dreht den Spieß dann augenzwinkernd weiter und legt mit der "Malmaschine (Arie in Schwarz)" gleich noch den schöpfenden Künstlergenius ad acta.
Das sind ihre kleinen, wohlgesetzten Seitenhiebe. Die Kaufmannstochter aus dem Odenwald war zwar für die Übernahme des Familienunternehmens vorgesehen, in den 1960er Jahren gehörte das noch zu den Ausnahmen. Aber sie entschied sich für den härteren Weg an der testosterondominierten Kunstakademie. Dass sie alsbald das Einhorn gab, war die feine Spitze zum Einstieg und wurde zum Prinzip:
Horn hat ihren Körper in schöner Regelmäßigkeit "erweitert", durch meterlange "Handschuhfinger", die man wie Müllzangen einsetzen kann, durch riesige Flügel, wie sie der Schneider von Ulm für seine Flugversuche angelegt hat, durch Geflechte aus Plastikschläuchen, fantastische Masken aus Federn oder eben ein ewig langes "Einhorn" - geschaffen für Performances, die zuallererst die Wahrnehmung des Körpers befördern und das Frühwerk der Künstlerin bestimmen.
Irgendwann verselbstständigen sich diese Zutaten, dann tänzeln Spitzenschuhe an Drahtstangen, und man denkt sich die Ballerina unwillkürlich dazu. Die Motoren haben da längst schon ihren zentralen Platz gefunden, seit den 80ern geben sie den Takt vor. Und so sind es dünne Aluminiumstäbe, die ein erstaunlich elegantes Pfauenrad schlagen.
Diese "Stellvertreter"-Apparaturen sind sicher nicht das Ergebnis einer Technikverliebtheit, sondern eher ein Spiel mit den Möglichkeiten, etwas auszulagern, zu beobachten, sich darüber klarer zu werden, ja vielleicht sogar die Flüchtigkeit der Existenz und selbst die Bewegung der Seele zu fassen. Man muss sich nur trauen, so weit zu denken, und vor allem die richtigen Zeichen treffen. Fürs Komische wie beim Kopulieren der Nashörner und mehr noch fürs Tragische.
Eine Matratzengruft kann schnell zur
Hölle werden
Etwa durch die ineinandergestellten Metallbetten aus einer psychiatrischen Klinik, kombiniert mit Glasröhren, die durch elektrisch geladene Drähte unheimlich aufleuchten wie Blitze. Oder doch wie Elektroschocks? Der Titel "Inferno", frei nach dem ersten Teil von Dantes "Göttlicher Komödie", kommt nicht von ungefähr. Eine Matratzengruft kann zur Hölle werden. Horn selbst verbrachte lange Zeit in Krankenhäusern und Sanatorien, nachdem sie sich beim Gießen von Polyesterharz-Skulpturen durch die schädlichen Dämpfe eine schwere Lungenvergiftung zugezogen hatte.
Sie besitzt ein untrügliches Gespür dafür, wo es knirscht und hakt und findet für die ausgehebelte Menschlichkeit immer wieder eindrucksvolle Bilder wie die eigentümlich ineinander verkeilten Holzleitern. Ziellos ragen sie in den Raum. Horn hat die eingangs erwähnten Geigen darauf montiert, über deren Saiten motorisierte Bögen streichen.
Aschgraue Klänge taumeln ins Nichts. Niemand mag sich an diesem "Konzert" freuen, und ohne zu wissen, dass sich der "Turm der Namenlosen" auf die Geflüchteten der Balkankriege bezieht, wird klar, dass da etwas aus der Balance geraten ist und droht, aus dem Ruder zu laufen. Krieg eben, Vertreibung, die ewigen Dramen. Vieles im Schaffen der Rebecca Horn wird so schnell nicht aus der Zeit fallen.
Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, bis 13. Oktober, täglich außer Dienstag von 10 bis 20, donnerstags bis 22 Uhr
- Themen:
- Haus der Kunst
- Ludwig van Beethoven